www.albrecht-reuss.de | Stand: 13.12.2008 | Impressum
Das muß ich euch erzählen – ich glaubt es bestimmt
nicht! Ich glaube es ja selbst kaum, aber es ist mir wahrhaftig passiert,
und ich sage euch, es ist unbeschreiblich! Ich erlebte, unfaßbar
aber wahr, einen 25-Stunden-Tag! Man muß nur lange genug trainieren.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, während meines
Studiums nicht mehr so viel nebenher zu machen und genau abzuwägen,
was sinnvoll ist und was nicht. Alles Makulatur indes, ich hätte es
wissen müssen, leide ich doch seit meiner Geburt unter dem Ja-Sager-Syndrom.
Hinzu kommt ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden (es ist so ungerecht,
daß ausgerechnet ich dieses Gerechtigkeitsempfinden abkriegen mußte),
was dazu führt, daß wenn ich mich bei den Evangelen engagiere,
ich am nächsten Tag auch zu den Katholen gehen, und wenn ich bei den
Grünen Mitglied werde, dann gleich auch noch bei der ÖDP und
SPD und CDU und – nein, irgendwo gibt es Grenzen.
Es fing trotzdem ganz harmlos an. Sechs Stunden Uni,
zwei Stunden Fußball, abends Hochschulgemeinde oder Partei. Dann
das schlechte Gewissen, Ausweitung der Aktivitäten. Acht Stunden Uni
aufgrund einer zweiten Arbeitsgruppe mit genau so lieben Mitstudenten,
vier Stunden Fußball, einmal mit dem Wohnheim, dann mit den Mitstudenten,
abends erst evangelische, dann katholische Hochschulgemeinde, und an einem
Wochentag alle Parteien durch. Macht schon 16 Stunden. Reicht gerade noch
zum Schlafen.
Acht Stunden Schlaf, die brauche ich gewiß. Klar,
sechs reichen auch, sagen die Wissenschaftler, aber andere sagen, bei acht
Stunden wird man älter, und alt, das will ich werden, nicht daß
ich gerade dann sterbe, wenn der eine Ur-Enkel gerade von mir ein großes
Geschenk zu seiner Geburt bekommen hat, und bevor der zweite Ur-Enkel auf
die Welt kommt, bin ich schon – nein, nicht auszudenken! Bricht einem Gerechtigkeitsfanatiker
das Herz!
Also acht Stunden Schlaf als Prämisse. Ich durfte
keinen weiteren Termin annehmen. Als mich aber die Evangelische Studierendengemeinde
für ihren Gemeinderat anfragte, fiel mir das passende Wort nicht ein
(Wie heißt das doch gleich: Jein? Vielleicht? Nicht immer? Mal sehen?),
also sagte ich – ja. Auch nicht so tragisch. Ich hab ja noch einen Wochentag
frei, und Studieren kann man auch am Wochenende.
Da ich kurz darauf selbstverständlich auch bei der
Katholischen Hochschulgemeinde anfragte, ob sie nicht zufällig einen
neuen Gemeinderat bräuchten, waren sämtliche acht, neun Tage
die Woche recht schnell ausgebucht. Montags Arbeitsgruppen, Dienstags Fußballspiele,
Mittwochs Gemeinden, Donnerstags Gemeinderäte, Freitags Parteien,
am Wochenende Studieren.
Doch dann geschah, was nicht hätte geschehen dürfen.
Die Parteien verlegten ihre Sitzungen auf Mittwoch. Mindestens eine meiner
nur noch vier Stunden dauernden Nächte (dann krieg ich wenigstens
keinen meiner Ur-Enkel mit) verbrachte ich schlaflos damit, mir eine Lösung
für dieses Dilemma auszudenken. Eine logische Lösung lag nicht
auf der Hand. Ich mußte es einfach ausprobieren. Das Ergebnis: 1
Stunde lang aufstehen, verbunden mit Post lesen, Zeitung lesen, Vorlesungsvorbereitung,
2 Stunden lang Vorlesung, 10 Minuten lang Mittagessen, 50 Minuten lang
Arbeitsgruppe I, erneut 2 Stunden Vorlesung, danach 2 Stunden Fußball
I, danach 2 Stunden Fußball II, danach schnell Gemeinderat I (1,5
Stunden), früher verabschieden, zuspätkommend noch einige Tagesordnungspunkte
in Gemeinderat II mitbekommen (1,5 Stunden, gerecht ist gerecht), zu Partei
I hetzen (1 Std. 58 min), Parteien II (1 Std. 58 min), III (1 Std.
58 min) und IV (1 Std. 59 min, sorry, ein Versehen, die Aufzugtür
klemmte) mitnehmen, dann Arbeitsgruppe II einschieben (50 min), an der
Pommesbude nachts um halbdrei Uhr das Abendessen einwerfen (17 min, wäre
die Friteuse angewesen, hätte ich 10 min sparen können!), dann
dasselbe zwei Straßen weiter, um keinen zu bevorzugen (7 min, weil
Friteuse an war), dann endlich nach Hause, am nächsten Tag muß
die städtebauliche Vertiefung abgegeben sein, also noch 3 Std. 53
min zeichnen, dann wieder aufstehen, Post anschauen undsofort.
Und jetzt der Clou: etwa acht Wochen später, als
ich mal wieder für zwei Minuten zum Nachdenken kam (der Bus war statt
den kalkulierten drei nämlich fünf Minuten zu spät), rechnete
ich meinen Tagesablauf nochmal durch und kam auf obige, genau, 24 Stunden.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich war doch mindestens
60 Minuten lang mit der Straßenbahn unterwegs gewesen, um zu den
Veranstaltungen zu gelangen! Ich habe keine andere Erklärung als die:
Ich habe einen 25-Stunden-Tag erlebt. Ich weiß, es klingt verwirrend,
ich flippe selbst schier aus, aber es sind, so oft ich rechne, fünfundzwanzig
Stunden. Ehrlich...
Ich laß das jetzt einfach mal so im Raum stehen. Beweisen kann ich es sowieso nicht. Aber ich muß jetzt schließen, weil ich gleich aufstehen muß und nach der Post schauen, und dann muß ich noch auf dem Laptop die selbe Satire tippen, nicht dass er sich benachteiligt fühlt.