www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Arbeitsallergie

Wenn die männliche Jugend etwa 19 ist, geht sie zur Bundeswehr, oder sie leistet ihren Dienst im zivilen Bereich, oder sie ist krank.
Ich hatte mir eine Zivistelle in Erlangen bei Nürnberg genommen, und zwar in der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Ich wußte, daß dies keine leichte Arbeit werden würde, war aber guter Dinge, die Aufgabe zu meistern. Am Tag vor meinem Dienstantritt saß ich mit zwei großen Taschen im ICE nach Augsburg, als ich urplötzlich ein seltsames Stechen in der Nase spürte, das sich im ICE zwischen Augsburg und Erlangen zu einem Stechen im Hals ausweitete und beim Beziehen meines Zimmer auf die Lungen übergriff. Am nächsten Morgen mußte ich erst einmal zum Arzt anstatt zur Arbeit Der untersuchte mich gründlich und schrieb mich zwei Wochen krank: Verdacht auf Lungenentzündung.
Auskurieren wollte ich mich daheim. Der Heilungsprozeß verlief schneller als erwartet, nach einem halben Tag war ich wieder fit und hatte eine schöne Zeit. Doch als ich zwei Wochen später wieder im ICE saß, kam das Stechen wieder auf. Der Arzt sagte, es sei unverantwortlich gewesen, in diesem Zustand die Reise auf mich genommen zu haben, und schickte mich umgehend nach Hause. Wieder fühlte ich mich nach 24 Stunden wie neu geboren. Meine Mutter sorgte sich dennoch sehr um meine Gesundheit und machte den vollklimatisierten ICE für meine Probleme verantwortlich.
Also fuhr ich vierzehn Tage später mit dem Regionalexpress über Aalen nach Erlangen, und siehe da: Meine Nase stach nicht. Nur mein Bauch schmerzte zum Explodieren. Sofort wurde ich von Erlangen zurück nach Hause geflogen – mit einem richtigen Hubschrauber – und ins Krankenhaus eingeliefert. Nach drei Tagen stationärer Behandlung wurde die Annahme einer Blinddarmentzündung fallengelassen. Ich blieb zur Erholung zwei Wochen zu Hause und genoß das Leben.
Wieder in Erlangen, überfiel mich das Sumpffieber, zwei Wochen später die Gicht, dann das Rheuma. Daheim dagegen war das Leben schön und erholsam, ich las viel, trieb Sport und verliebte mich.
Doch anscheinend war die Erholung wieder nicht intensiv genug gwesen, also schickten mich die Ärzte vier Wochen in Kur, nachdem ich auf dem Weg zu meiner Dienststelle einen Schwächeanfall erlitten hatte.
In dem Nordseebad ging es mir hervorragend. Nur leider bekam ich nach dieser Zeit ohne Vorwarnung Gelbsucht – es war etwa auf Höhe der Autobahnausfahrt Erlangen Süd. Folge: Vier Monate Pause.
Da auch danach keine grundlegende Besserung eintrat und Folgeerscheinungen – wahrscheinlich durch falsche Medikamente – mich plagten (Asthma, Katarrh, Bänderdehnung, Migräne), brachte mich meine Mutter zu einem Arzt für Allergiker. Der entdeckte eine leichte Kohlenstauballergie, die aber nichts mit meinen Symtomen zu tun haben konnte. Das Klimaamt Franken schickte einen ratlosen Brief auf die Frage nach der Luftbeschaffenheit in dieser Gegend.
Das klingt alles so, als wäre ich ein halber Krüppel gewesen. Das stimmt allerdings nur zur Hälfte. Daheim im gemütlichen Klosterhof ging es mir auch zu dieser Zeit wunderbar.
Nachdem auch der Allergiedoktor aufgegeben hatte und sich nichts besserte (geschwollene Augen, Darmgrippe, Knorpelschäden), versuchte ich beim Psychoanalytiker eine Besserung zu erzwingen. Nach dreiwöchiger intensiver Therapie formulierte er die Vermutung, die Krankheiten könnten in der Angst vor meiner Arbeit begründet sein. Das leuchtete mir ein. Also erinnerte ich mich so ganzheitlich wie möglich an diesen Sachverhalt, um ihn aus dem Unterbewußtsein zu holen – diese Therapiephase dauerte gut zwei Wochen –, und fühlte mich danach wie ein neuer Mensch.
Mit großem Engagement begann ich nach einem kurzen Urlaub in Paris wieder mit meiner Arbeit. Und tatsächlich hatte ich nicht die kleinsten Schwierigkeiten mit meiner Gesundheit. So gut ging es mir, daß ich mich mit meinen zwei Taschen sogar wieder in den ICE getraute, als ich am folgenden Tag nach Hause fuhr. Mein Jahr als Zivi war zu Ende.