www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Ich bin nicht ganz freiwillig in den Ruhrpott gegangen,
sondern um zu studieren. Ob der Besonderheit meines Studiengangs blieb
mir keine große Wahl. Die Wahl, die ich hatte, führte mich weder
nach Kaiserslautern (zu klein) noch nach Berlin (zu groß), sondern
nach Dortmund. Was ich nicht wissen konnte (neben der Leistungsexplosion
des FCK und dem Abfallen des BVB), war die Tatsache, daß die Uni
Dortmund (Offiziell: Uni DO) ihre Studierenden nicht nach dem Abitur, sondern
anhand einer Aufnahmeprüfung der ganz besonderen Art aussucht. Diese
Aufnahmeprüfung heißt Einschreibung.
Es war Juli, als ich mich auf Dortmund bewarb und noch
an die Bedeutung meines (guten) Abiturs glaubte. Da ich von anderen aber
schon gehört hatte, daß man beim Einschreiben auf mancherlei
Hürden gefaßt sein muß, blieb ich den ganzen August hindurch
zu Hause, um ja nichts zu verpassen. Ich ließ meine Einkäufe
durch meine Mutter erledigen, fing den Briefträger bereits zwei Straßen
früher ab und hatte meine Koffer (deren Inhalt ich drei Mal täglich
überprüfte) schon Abfahrtbereit ins Treppenhaus gestellt, um
bei Bedarf sofort nach Dortmund fahren zu können.
Doch ich hatte meine Rechnung ohne die Deutsche Post
gemacht (Und ohne das Studentensekretariat, das natürlich eine falsche
Adresse angab). So erhielt ich einen Tag zu spät, nämlich am
28. August 1997, folgenden Brief:
„Sehr geehrter Herr Reuß,
ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß
wir einen Studienplatz im Studiengang Raumplanung für Sie bereithalten
können. Um den Studienplatz anzunehmen, müssen Sie am 27.8.1997
zwischen 8.00 Uhr und 8.15 Uhr mit untengenannten Unterlagen persönlich
im Studentensekretariat vorsprechen. Dies ist eine sogenannte Ausschlußfrist,
das heißt das Nichteinhalten dieser Frist führt unmittelbar
zum Verlust des Studienplatzes. (...)
gez. Grünkeks“
Ein Adrenalinstoß ohnesgleichen durchfuhr meinen
ausgezehrten Körper (die Nervosität...), als ich das Schreiben
überflog. Geistesgegenwärtig stürzte ich ans Telefon und
wählte die Nummer des Studentensekretariats, zunächst die der
Zentrale, welche mir die Nummer für die Buchstaben Po- bis Sc- gab,
von wo aus ich direkt an den Sachbearbeiter Grünkeks weitergeleitet
wurde.
„Der Studienplatz ist weg“, knirschte Grünkeks,
und die Worte hallten erschaudernd in meinem inneren Ohr wieder. Keine
Erklärung, kein Wimmern half. Nun hoffte ich, vielleicht doch mein
Abi in die Waagschale werfen zu können. Ich sagte Grünkeks mit
fester Stimme meine Endnote.
„Wenn das so ist“, druckste der Sachbearbeiter, „dann
können Sie vielleicht in einer Stunde kurz vorbeikommen, dann regeln
wir das unbürokratisch.“
Ich sagte ihm, daß ich von Blaubeuren aus anriefe.
Damit war die Sache gegessen.
Was danach geschah, weiß ich nicht mehr, da ich
in der Ecke saß und tränenüberströmt auf dem Ohr meines
Lieblingsteddies rumkaute, doch irgendwie muß es wohl mein Vater
geschafft haben (Bestechung? Rechtsanwalt? Psychologie?), noch ein paar
Stunden mehr für mich herauszuschlagen – um 18.00 Uhr spätestens
sollte ich im Sekretariat sein.
Als weiteres Hindernis stellte sich eine der erforderlichen
Unterlagen heraus: Ich erfuhr, daß ich eine Bescheinigung der AOK
über eine Befreiung von der Pflichtversicherung benötigte. Um
10.30 Uhr raste ich zur örtlichen AOK. Eine Angestellte bearbeitete
das Formular und sagte dann: „Die Bescheinigung wird Ihnen zugestellt.“
„Ähm – also – Ich brauch’ sie sofort.“
„Das geht nicht. Die wird inzwischen nur noch über
EDV ausgestellt, und der Drucker steht in Ulm. Aber warten Sie, vielleicht
hab’ ich noch alte Formulare, die von Hand ausgefüllt werden können.“
Hatte sie nicht, dafür die in Laichingen. Ich nahm
das Auto, fetzte hin und mit der Bescheinigung wieder zurück, saß
um 11.30 Uhr im Zug nach Ulm (Den fertiggepackten Koffern sei Dank!) und
kam um 17.10 in Dortmund an. Dort haderte ich noch eine Weile mit
den S-Bahn-Verbindungen, dann mit den Automaten, schließlich hatte
ich gewisse Mühen, darauf zu kommen, das Sekretariat im Gebäude
Chemietechnik III zu suchen, stand aber dennoch um 17.52 vor den Verwaltungsräumen
und war konsterniert.
Es bot sich mir folgendes Bild: Schlangen von Menschen
vor jeder Buchstabenreihe. Besonders in der Reihe „Po- bis Sc-“ fanden
sich einige angehende Studis mit Schlafsäcken und Hockerkochern. Noch
acht Minuten.
Mit dem Rücken zur Wand heiligt der Zweck besonders
häufig die Mittel. ich ergriff meinen Strohalm und zwängte mich
mit der gleichlautenden Floskel „Mein Name ist Grünkeks, Sachbearbeiter,
bitte lassen Sie mich durch!“ durch die Menschenmasse, kümmerte mich
auch nicht um das rote „Nicht Eintreten!“-Schild und fand mich um 17.59
in einer Bahnhofshalle wieder, die sich Studentensekretariat nannte. Nach
einer Standpauke durch einen der Sachbearbeiter erbarmte sich eine Angestellte
meiner und bediente mich, während die anderen Feierabend machten.
Sie warf einen kurzen Blick auf das AOK-Formular – das Abizeugnis wollte
sie gar nicht sehen –, dann drückte sie mir die Einschreibung in die
Hände. Ich hatte bestanden.