www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Bezin für alle

Wenn einem eine Sache wirklich etwas wert ist, dann lohnt es sich auch, dafür zu kämpfen. Nein, ich rede in diesem Zusammenhang nicht von Freiheit, Gerechtigkeit oder Frieden, ich rede natürlich von freiem Eintritt ins Kino, Bier und Schokolade für umsonst und, wo wir schon bei den ungesunden Dingen sind, freilich auch Benzin für umsonst. Dabei scheint die Sache mit dem kostenlosen Benzin für alle der Gesellschaft am wichtigsten zu sein. Denn dafür hat sie bereits angefangen zu kämpfen.
Und weil es sich alleine so schlecht kämpft, hat sich die Gesellschaft Sprachrohre geschaffen. Eines dieser Sprachrohre muss ich jeden Tag lesen. Es sind die Bachnachrichten. Sie haben sich hier in Dortmund zum Vorreiter im Kampf gegen Geld aufgeschwungen. Damit man diese Forderung aber nicht mit dem Vokabular der linken Szene verwechselt, haben sie sich zunächst den Kampf gegen das Geld für Benzin vorgenommen.
Ich nehme an, dass sie als Sprachrohr der Ansicht sind, damit der gesellschaftlichen Meinung zu entsprechen. Und wenn man mal für etwas kämpft, dann richtig! Also lautet das Motto: Weg mit den Benzinpreisen! Und das seit geraumer Zeit...
Ich weiß nicht mehr, wann genau es angefangen hat. Eines Tages war auf Seite zwei der Bachnachrichten eine Karikatur abgebildet, die einen Bundesbürger zeigte, um dessen Hals sich würgend ein Benzinschlauch legte, während Herr Finanzminister Eichel ihm Münzen aus der Tasche klaute.
Nein, wie gemein.
Ich lachte kurz und höhnisch und ging zur Tagesordnung über.
Am nächsten Morgen schlug ich die Bachnachrichten auf und bemerkte eine Karikatur, die einen Bundesbürger zeigte, um dessen Hals sich würgend ein Benzinschlauch legte, während Herr Finanzminister Eichel ihm Münzen aus der Tasche klaute.
Ich lachte nicht mehr, vergewisserte mich des Datums und ging kopfschüttelnd zur Tagesordnung über.
An der Uni lernten wir, dass im Falle der Klimakatastrophe der Staat Bangladesch zu drei Vierteln im Meer versinken würde. Ich erschrak.
Gut, dass die Bachnachrichten mir halfen, wieder den Blick für die wahren Probleme zu bekommen. Die zeigten anderntags eine Karikatur, die von einem Bundesbürger handelte, aus dessen Tasche Herr Finanzminister Eichel Münzen stahl. Und zu allem Überdruss wurde der Gute von einem Benzinschlauch gewürgt.
Die Welt schien aus den Fugen zu geraten. Tief in Gedanken radelte ich zur Uni, um mehr über die Welt zu erfahren, wurde dabei aber zunächst von einem Dutzend Autos überfahren, so dass der Uni-Tag schmerzhaft und kurz war.
Die Zeitung am Morgen las ich im Bett, denn das Aufstehen viel schwer. So freute ich mich auf eine aufheiternde Zeichnung, und tatsächlich veröffentlichten die Bachnachrichten eine Karikatur, auf der – ach wie trollig – ein Bundesbürger von einem Benzinschlauch gewürgt wurde, während ihm Herr Finanzminister Eichel Münzen aus der Tasche stibitzte.
Ich verbrachte den Tag im Bett, pflegte mein Gipsbein  und verfolgte Kriege und Katastrophen im Fernsehen. Gut, dass die Katastrophen in der Zeitung keine kreischenden Geräusche verursachen. Zeitungen sind nüchtern und distanziert. Und abwechslungsreich. Sie zeigten nun einen Bundesbürger, um dessen Hals sich würgend ein Benzinschlauch legte, und Herr Finanzminister Eichel zog diesmal ganze Geldscheine aus des Ärmsten Tasche.
Im Fernsehen weiterhin trübe Bilder trotz Farbe, hier ein Wirbelsturm, dort ein ausgelaufener Tanker, und die Bachnachrichten überschlugen sich derweil vor zündenden Ideen und ließen diesmal Herrn Umweltminister Trittin die Geldscheine klauen, während der Benzinschlauch noch immer den Bundesbürger würgte.
Die Bachnachrichten hatten Glück, dass der Autounfall (dies ist die Abkürzung für Böses-Auto-überfährt-ahnungslosen-Radfahrer-Unfall) mich die Tage aus der waagrechten Perspektive betrachten ließ. Denn, nur mal angenommen, ich hätte weiterhin forsch zur Uni radeln können, mich dort in den endlosen, staubigen, nach Luftfeuchtigkeit nur so dürstenden Bibliotheken herumtreiben können, möglicherweise etwas über die Zusammenhänge zwischen Auto und Klima herausfinden können oder womöglich eine Art Verkehrstote-Statistik ausgraben können (da diesen in der Regel bedeutend weniger Bedeutung zugemessen wird als den Ballkontakten des Bundeligafußballers O. im Spiel für D. gegen F. etc.), dann hätte ich am Ende vielleicht sogar herausgefunden, dass die Bachnachrichten eine Meinung vertreten, die nicht bis ins Letzte der gesellschaftlichen Meinung gleicht, zumindest, wenn ich auch dazuzähle, und so hätte ich dann schließlich und sicherlich einen Brief geschrieben, um ihnen diesen Sachverhalt mitzuteilen, sie hätten mir in belanglosen Zeilen geantwortet, dass mein Brief im Papierkorb gelandet sei, und ich wäre traurig gewesen.
Also hatten die Bachnachrichten Glück. Sie hätten sonst ein schlechtes Gewissen haben müssen.
So aber konnten sie unbehelligt weiterhin am jeweils anderen Morgen eine Karikatur zeigen, die – ach, ich kann es nicht mehr hören.