www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Jetzt ist es raus: Die deutschen Schüler sind ungebildet.
Und damit wohl alle Deutschen, weil alle irgendwann mal zur Schule gegangen
sind. Ungebildet? Alle Deutschen? Nun, ich habe die Tage eine Dame getroffen,
die ist nicht ungebildet. Nein, eigentlich im Gegenteil: Sie weiß
gar nicht mehr wohin mit ihrer Bildung.
Frau König studiert im 91. Semester Japanologie.
Freilich studiert sie nicht nur Japanologie seit 45 Jahren – davor hat
sie unter anderem Soziologie, Philosophie, Theologie, Keltologie, Ethnologie,
Sinologie und Indologie, sieben Sprachen, zwei Ingenieurwissenschaften
(abgebrochen) und Medizin studiert. In Geschlechterstudien hat sie sogar
einen Doktor. Sie ernähert sich von der Minimalrente sowie von der
Aufwandsentschädigung, die sie für ihr reges Engament in den
Astas der Unis Bochum und Dortmund seit dem Bestehen dieser Unis einstreicht.
Davor studierte sie in Münster, und natürlich in Tel Aviv, in
Kairo, war drei Monate in Mosambik und an ungefähr allen anderen Orten
dieser Welt, aber lassen wir sie doch am besten selbst erzählen.
„Ja, und wissen sie, damals am Ganges, das war ja – aber
deshalb haben sie in Schleswig-Holstein ja auch die Engel über dem
Taufstein, seit Sechsundsechzig bin ich nämlich im Asta und da haben
wir – aber der Hund kommt doch nicht heute?“
Damit wird bereits ein Problem von Frau König deutlich.
Sie ist zu schlau für diese Welt. Und sie weiß gar nicht, wie
sie ihr geballtes Wissen, ihre unglaubliche Lebenserfahrung in gewöhnliche
Sätze packen soll. Als Medizinerin und Psychologin wird sie wissen,
dass sich durch ihre jahrzehntelange Bildung überdurchschnittlich
viele Nervenbahnen in ihrem Gehirn gebildet haben, die Assoziationen zulassen,
wo sie kein anderer Mensch je vermuten würde.
Wir hatten nämlich jüngst ein Gespräch
in der Hochschulgemeinde, und das verlief in Ausschnitten so.
Hochschulpfarrerin: „Ich begrüße also dann
euch und Sie –“
Frau König: „Ja, und wissen Sie, wir hatten ja damals
dann auch ist das ja so eine Sache. Ich sag’ ja schon immer, dass C und
A-ber in Bangladesh, das war noch viel, weil ja dann auch der Bischof von
von von, wir hatten ja dann auch so einen Strauß Rosen auf dem Grab,
ich hab’s schon immer gesagt. Ich weiß nicht, ob sie das wissen,
aber Martin Luther, der Schwarze, vor denen habe ich –“
Hochschulpfarrerin: „Bitte, Frau König, wir wollen
hier doch –“
Frau König: „Sicher, sicher, dass war ja auch im
harten Winter von von von, ich weiß noch genau, wir hatten damals
das war aber auf der falschen Rheinseite und dann kamen wir gleich gar
nicht bis auf den einen Berg in Nepals Regierungsviertel am Spreebogen
wir dann ab. Wie in Ghana, als doch der, ja, Mönch. Wissen Sie, daher
kommt auch. Und gestern beim Kaffee. Aber der Hund kommt doch nicht, oder?“
Das ist das große Rätsel an Frau König.
Vielleicht liegt es daran, dass sie nie Biologie studiert hat. Sie hat
jedenfalls panische Angst vor einem Hund. Nicht vor allen. Nur vor diesem.
Und das ist ausgerechnet der Hund der Hochschulpfarrerin. Frau Königs
Leben hat sich daher seit März 1987 spürbar verändert. Damals
hatte die damals neue Pfarrerin zum ersten Mal ihren Hund dabei. Zur Illustration:
es soll schon vorgekommen sein, dass sich kurzsichtige Reitschülerinnen
auf den Hund setzen wollten.
Frau König hat dieses Aufeinandertreffen nie verkraftet.
Bitter daran ist, dass sie seither versucht, ihr stetig zunehmendes Wissen
in noch weniger Sätzen unterzubringen. Es könnte ja sein, dass
sie plötzlich in ihrem Redefluss durch das Auftauchen des Hundes gebremst
werden würde.
Darin liegt die stillschweigende Hoffnung der Hochschulgemeinde.
Sie hat daraus ihre Konsequenzen gezogen. Vor jedem Gespräch und jeder
Veranstaltung wird der Hund heimlich hinters Sofa gesetzt. Dort wartet
er, brav wie er ist, ruhig auf seinen Einsatz.
Das Gespräch nimmt dann in etwa folgende Wendung.
Hochschulpfarrerin: „Kommen wir nun also –“
Frau König: „Sehen Sie, dass war auch schon damals
so, als wir gegen die RAF. Ich versteh’ ja auch bis heute nicht, warum
der Kirchengemeinderat die Kindergruppe in Korea haben sie ja schon lange
Engel aus dem Sauerland über alles, was Kennedy erschossen damals
auch auf Schwarze in unserem Haus ist der Hund heute hier?“
Hochschulpfarrein: „Meinen Sie Bello?“
Bello: „Wuff?“
Daraufhin packt Frau König mit entsetztem Blick
in Windeseile ihre Plastiktüten zusammen und macht sich auf den Heimweg.
Wenn sie vor lauter Wissen noch weiß, wo ihr Zuhause liegt.
Das ist auch der Grund, weshalb die Gemeinde den Hund
nur unregelmäßig einsetzt. Die Angst ist zu groß, Frau
König könnte wegen ihrer, sagen wir, ungepflegten Erscheinung,
da sie nun mal intelektuell veranlagt wenig Wert aufs Äußere
legt, wegen ihren Plastiktüten und ihrer Wolljacke und ihrem strähnigen
grauen Haar von der Polizei für jemand anderes als für eine gebildete
Langzeitstudentin gehalten werden. Und nicht auszudenken, wo sie dann landet,
wenn sie beginnt zu erklären: „Verstehen Sie? Kimbuktu der Bischof
die Engel Korea Schwester mit den Blumen Taufstein Hund! Der Hund! Der
Hund! Der Hund.“