www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Wohl dem, der einen Computer hat, und wehe dem, falls
er zurück schlägt.
Der Computer an meiner Zivi-Stelle ist paradiesisch.
Man kann einfach alles mit ihm machen – und alles ganz geschwind. So freut
man sich an der Maschine und setzt eine fantastische Zeitung und freut
sich und setzt tagelang und ist beinahe fertig und ist entsetzt: die Datei
ist kaputt. Sie ist nicht mehr zu öffnen.
„Diese Datei wird wegen eines ungültigen Vorgangs
geschlossen. Wenden Sie sich an den Hersteller, falls das Problem weiterhin
besteht“, meldet der Computer ungerührt. Da das Problem weiterhin
besteht, wende ich mich an den Hersteller.
Irgendwo in den Ablagen finde ich eine Nummer von Adobe
(„Adaubi“). Hingegen weniger finde ich die Kundennummer, die die Dame am
anderen Ende der Leitung von mir verlangt. Besser gesagt: Mit keiner der
Nummern auf dem Lieferschein ist die Dame zufrieden. Sechs Ziffern lang
müsse sie sein und mit einer Zwei beginnen.
„So eine Nummer habe ich nicht“, sage ich.
„Von welcher Firma sind Sie denn?“, sagt sie.
„Vom Evangelischen Jugendwerk“, sage ich.
„Das kann nicht sein“, sagt sie.
Sie beliefern nur Firmen, keine Endverbraucher. Auf dem
Lieferschein finde ich die nächste Nummer.
„Vielen Dank für Ihren Anruf bei Adobe“, schmeichelt
eine Frauenstimme. „Drücken Sie die Eins, falls sie technische Unterstützung
brauchen, und die Zwei, falls Sie etwas kaufen wollen.“
Ich drücke die Eins.
„Geben Sie nun bitte Ihre Kundennummer ein.“
Ich gebe die Kundennummer ein.
„Tut mir leid, Ihre Kundennummer ist zu lang.“
Wieder falsch. Eine Nummer habe ich noch. Nochmal wählen.
„Vielen Dank für Ihren Anruf bei Adobe.“
Eins, dann andere Nummer – sie stimmt.
„Wenn Sie technische Unterstützung brauchen...“–
hatten wir das nicht schon? Also die Eins.
„Wenn Sie einen Apple-Macintosh benutzen, drücken
Sie bitte die Eins. Wenn sie auf einer Windows-Oberfläche arbeiten,
bitte die Zwei. Wenn Sie...“ – ich drücke die Zwei.
„Sie werden verbunden. Wenn Sie solange klassische Musik
hören wollen, drücken Sie bitte die Eins. Wenn Sie solange Pop-Musik
hören wollen, drücken Sie bitte die Zwei. Wenn Sie...“ – wieder
die Zwei.
„Im Pop-Bereich haben wir folgende Interpreten im Angebot:
Die Eins für Phil Collins, die Zwei für Cat Stevens, die Drei
für Sting, die Vier für Take That...“ – ich wähle Eins.
Ein paar Minuten lausche ich Phil Collins und den ermutigenden
Zwischenbemerken: „Bleiben Sie dran, Ihr Anruf wird weitergeleitet.“
Später: „Geben Sie nun auf einer Skala von Eins
bis
Neun ein, für wie gut sie Ihre Fähigkeiten
am Computer einschätzen.“ Ich tippe Fünf.
„Tut mir leid. Die Telefonnummer von Adobe hat sich geändert.
Sind Sie ein Anrufer aus Deutschland, so tippen Sie bitte Eins, sollten
Sie aus Österreich...“
Auch das bringe ich verwundert, aber geduldig hinter
mich, notiere die neue Nummer, die besorgniserregenderweise mit zwei Nullen
beginnt, und versuche mein Glück aufs Neue: Eins, Kundennummer, Eins,
Zwei, Eins, Wartemusik, Fünf.
Dann endlich eine natürliche Stimme: „Guten Tag,
können wir Ihnen helfen?“
Ich schildere mein Problem, gewürzt mit Klagen über
die Wichtigkeit der Datei und die Ungerechtigkeit des Computers und die
Verantwortung des Herstellers. Meine Verzweiflung klingt in den Worten
mit.
„Tut mir leid, Ihre Datei ist nicht mehr zu retten“,
tröstet mich die Adobe-Angestellte, und fügt hinzu: „Aber vielen
Dank für Ihren Anruf bei Adobe.“
Zwei Tage lang liege ich heulend unter dem Schreibtisch.
Um den Drucktermin einzuhalten, hätte ich schon lange mit dem erneuten
Erstellen des Werkes beginnen sollen. Doch angesichts meiner zitternden
Finger war dieses Ansinnen vergeblich. Am dritten Tag unternehme ich einen
letzten Versuch.
Ich wähle. Eins, Kundennummer, Eins, Zwei, Eins,
Wartemusik, doch nun schätze ich meine Fähigkeiten mit Eins ein.
„Guten Tag. Beruhigen Sie sich erst einmal. Sie brauchen
überhaupt keine Panik haben. Wie können wir Ihnen helfen?“
Ich schildere meine Schwierigkeiten auf ein Neues. Nur
lautes Schluchzen unterbricht meinen Wortschwall.
„Gar kein Problem, mein Herr,“ entgegnet die Dame in
sanftem Ton, „wickeln Sie Ihren Computer heute Nacht fest in Handtücher
ein und legen Sie ihm eine Wärmflasche dazu. Stellen Sie davor ein
Schälchen mit Kamillentee. Sie werden sehen, morgen sieht die Welt
schon wieder besser aus.“
Als ich am nächsten Morgen das Büro betrete,
ist das Bild des Monitors noch etwas verschwommen, und auf der Mattscheibe
hängen Schweißperlen. Es lebe Adobe!