www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Das ist ja so ein „Ding“ mit den Nahverkehrsver-bünden.
Eigentlich richtet man sie ja deshalb ein, um besonders viele Fahrgäste
zu gewinnen. Dabei machen Fahrgäste doch vor allem Arbeit. Daher hat
sich in Blaustein eine eigene Busfahrer-Philosophie durchgesetzt: Keine
Fahrgäste, keine Arbeit.
In den Semsesterferien wollte ich dem Namen dieses Ereignisses
alle Ehre machen und eine Runde arbeiten gehen, Praktikum heißt das
dann und beinhaltet einen Hausmann-Kursus für angehende Ingenieure,
also genau das Richtige für mich. Nur konnte ich meine Arbeit die
ganzen vier Wochen über nicht antreten. Denn ich versuchte verbissen,
mit dem Bus dorthin zu gelangen.
Nach harten Wochen eingehenden Literaturstudiums und
praktischer Forschung hatte ich sie entdeckt, so dass ich aufschrie:
„Und es gibt sie doch!“ Gemeint war die öffentlich-rechtliche Verbindung
Blaubeuren – Prakti-kumsstelle mit nur einmal umsteigen in Blaustein. Nichts
leichter als das, Karte rasch gekauft und problemlos mit der Bahn bis Blaustein
gekommen. Darin sollte an keinem der Tage, man lese und staune, die Schwierigkeit
liegen. Nur mit der Busline Nummer 29 von Blaustein bis Haltestelle Praktikumsstelle
haperte es. Es hat nämlich noch nie jemand geschafft, diese Linie
zu fahren.
Alle, die es versucht hatten, waren bisher in Blaustein
auf der falschen Seite aus dem Zug ausgestiegen und auf dem Nebengleis
überfahren worden. Die Korrekteren hatten gewartet, bis sich die Schranken
geöffnet hatten und daraufhin den Bus verpasst, falls sie noch nicht
verhungert waren. Paul, ich nenne ihn einfach mal so, da er mich auch nach
dem siebten gemeinsamen Versuch, den Bus zu bekommen, nicht gegrüßt
hatte, und ich seinen Namen daher nicht weiß, Paul also versuchte
das Problem dadurch zu lösen, dass er sich beim Aussteigen aus dem
Zug besonders große Eile gab und besonders hastig zum Bahnübergang
lief, aber das ließ diesen auch nicht schneller aufgehen. Am siebten
Tag versuchte er es durch irreguläres Überqueren der Gleise und
kam ums Leben.
Ich nahm mir das als warnendes Beispiel und mietete mir
lieber auf der richtigen Seite der Bahnstrecke in Blaustein ein Zimmer.
Am nächsten Morgen stand ich rechtzeitig an der
Bushaltestelle und kam ins Grübeln. Auf dem Bus war die Nummer 7256
angeschrieben, dabei suchte ich doch Linie 29. Ich dachte, der kommt bestimmt
später, ist schließlich auch noch keiner unter den Zug geraten
heute, doch als der Bus schließlich losfuhr, war mir, als leuchte
ein „Ätsch“ auf der Anzeige auf. Und ich stand da.
Am anderen Morgen fragte ich einfach, ob der Bus nach
„Praktikumsstelle“ fahre, er erwiderte „Nein“, und erst, als das „Ätsch“
wieder aufleuchtete, wusste ich, dass er gelogen hatte.
Anderntags stieg ich einfach ein und sagte, Nahverkehrsverbund-erprobt:
„Vier Zonen.“
„Wie Zonen?“
„Na, eine Fahrkarte für vier Zonen, bitte!“
„Und wohin?“
„Nach Praktikumsstelle.“
„M,“ sagte der Busfahrer, ein sehr kurzes „M“, kein langes
„Mmm“, sondern ein hartes, kurzes „M“, und suchte daraufhin in einer zehn
Zeilen langen Liste nach „Praktikumsstelle“, bis er Feierabend hatte und
die Fahrt dorthin aufgrund zu großer Verspätung nicht mehr lohnte.
Beim nächsten Sonnenaufgang stieg ich an dieser
Stelle wieder in die Diskussion ein.
„Nach Praktikumsstelle, bitte.“
„Welche Nummer hat das?“
„Wie Nummer?“
„Na, welche Nummer ich da eingeben muss!“
„Das müssen sie doch wissen!“
„Nein, wenn Du nach Praktikumsstelle willst, musst schon
Du die Nummer wissen, ich kann die nicht suchen, das dauert zu lange,“
und damit warf er mich aus dem Bus.
Ich zog mich neuerlich zu Forschungszwecken zurück
und sagte beim nächsten Versuch keck die Nummer von „Praktikumsstelle“.
„M,“ sagte wieder der Busfahrer, und begann unmotiviert
auf seinen Ticketspender einzuhacken. Er gab mir den fetzen Papier, fuhr
zwei Häuserecken weit und stoppte unvermittelt auf Höhe eines
zufällug daher-gelaufenen Zeitungsausträgers. Er öffnete
die Tür.
„Du, gib amol so a Käßblättle rüber!“
Der Junge reichte ihm eine Zeitung, der Fahrer fuhr den
nächsten Rastplatz an und machte Frühstückspause. Und Pause.
Und Pause. Als der Fahrer zum sechsten Mal begann, die Zeitung wieder von
vorn durchzublättern, stieg ich entnervt aus.
Der nächste Fahrer, so viel muss ich eingestehen,
hatte eine weniger subtile Art, mich abzuwimmeln, nein, er suchte die offene
Dikussion und sagte: „Normalerweise fahre ich direkt zum Depot und mache
Pause. Ist besser für die Umwelt! Wenn ich erst über „Praktikumsstelle“
fahren muss, brauche ich viel mehr Benzin.“
Was sollte ich dem nur erwidern? Ich zog mich zur Beratung
zurück und ließ ihn alleine ins Depot fahren.
Wieder begann ich zu forschen, und noch immer bin
ich auf der Suche nach der richtigen Antwort. Soll ich nun besser mit dem
Auto fahren? Oder ist der Bus trotzdem besser, weil irgendwann vielleicht
noch ein zweiter Mensch damit fährt? Meine Praktikumsstelle würde
mir sicher Aufschluss darüber geben. Aber wie komme ich hin? Ohne
Bus?