www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Man dachte, die Unis in Deutschland hätten ein Raum-Problem.
Fälschlicherweise beschuldigten die Studenten deswegen die diensthabenden
Politiker und streikten für mehr Platz und längere Weihnachtsferien,
wobei sie wenigstens zweiteres bereits nach einem Tag erreicht hatten und
nach Hause fuhren. Mehr Platz hingegen gab es nicht. Konnte es auch nicht
so einfach. Denn heute, nach mehreren Semestern versuchten Studiums, weiß
ich: die Uni hat kein Raum-Problem, sie hat ein Pförtner-Problem.
Mein erster Studientag begann damit, dass ich die Uni
fand. Ich wollte sogleich mein Fahrrad diebstahlsicher an ein Geländer
schließen und machte meine erste unliebsamme Erfahrung mit den Uni
eigenen Ordnungs-hütern – man nennt sie Pförtner, auch wenn ihre
Hauptaufgabe nachweislich nicht darin besteht, Pforten zu öffnen,
wie noch zu zeigen sein wird.
„Kollege!“, sprach mich respektvoll über den Hof
brüllend eine rauhe Männerstimme an, „du wirst dein Rad da nicht
anschließen!“
Da diese Bemerkung an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig ließ, begab ich mich zu den Fahrrad-ständern zwei
Straßen weiter und trottete verunsichert zum Campus zurück,
um mein Studium zu beginnen. Vor dem entsprechenden Gebäude hatte
sich schon eine kleine Versammlung an schüchternen Erstis ergeben,
die darauf warteten, ins Innere der mythen- und PCB-beladenen Räumlichkeiten
dringen zu dürfen. Doch wir mussten noch einige Wochen warten.
„Bilden Sie sich bloß nicht ein, sie kommen hier
rein!“, motzte ein weiterer Ordnungshüter im blauen Anton jeden einzelnen
Neu-Studenten an. „Sie haben keinerlei Genehmigung, hier heute eine Veranstaltung
durchzuführen. Falls Sie da reingehen, werde ich den Saal räumen
lassen!“
Wir mussten einsehen, dass wir von falschen Voraussetzungen
ausgegangen waren. Aufgrund der Aussagen und Forderungen unserer früheren
Lehrer hatten wir geglaubt, Studieren sei ehrenwert und erwünscht.
Nun mussten wir feststellen, dass es offenbar verboten war.
Wir gingen in die Mensa, das einzige Gebäude ohne
Einlass-Kontrolle, vermutlich deshalb, weil man da erstens Geld liegen
lässt und zweitens nach spätestens einer Mahlzeit freiwillig
und fluchtartig wieder verschwindet, wobei sich dieses Spiel dennoch täglich
wiederholt; in diese Mensa gingen wir also, lernten uns kennen und warteten
das Geschehen ab. Eine Mahlzeit lang. Jeden Tag.
Nach etwa zwei Semestern und der viermaligen Speiseplan-Abfolge
beendeten wir das blinde Warten und begannen nachzudenken.
„Genehmigung,“ dachten wir, „Genehmigung klingt so, als
würde man es irgendwo bekommen können.“
Klar, allerdings nur im Innern des Gebäudes. Und
da durfte ja keiner rein. Auf dem Postweg schafften wir es dann innerhalb
von nur drei Semestern, eine Genehmigung für einen Wochenend-Workshop
zu erhalten, der uns den Inhalt des Vordiploms in komprimierter Form näherbringen
sollte.
Hochmotiviert und mit Bergen von Rechnern und Monitoren
zur effizienteren Arbeit auf den Armen standen wir am genehmigten Tag vor
dem Pförtnerhäuschen und legten den Bescheid vor. Die unerwartete,
aber kosequente Folge war die Antwort: „Ich kann Sie da nicht rein lassen.“
„Aber...“, argumentierten wir zurück.
„Nein, völlig unmöglich. Hier steht nur Raum
408. Raum 408 hat aber zwei Türen. Ich weiß nicht, welche der
beiden Türen ich aufschließen darf. Nein, nein, ich kann Sie
nicht ins Haus lassen.“
Offenbar mussten wir unser Studium erneut verschieben.
Wir rechneten uns aus, mit einem berühmten Professor größere
Wirkung zu erzielen und wurden prompt belohnt und vier Semester später
in den Raum gelassen, was aber weniger am Professor lag, sondern wohl nur
daran, dass wir eine konkrete Genehmigung für die hintere Tür
des Raumes 408 vorweisen konnten.
Unser Studium fiel also auf den 12. November. Wir hatten
so zwischen sieben und elf Semster auf dem Buckel, als wir durch tiefen
Staub die hintere Tür des Raumes 408 betraten. Der Pförtner schaute
uns beschuldigend an, schließlich hatte er sich nur wegen uns von
seinem Stuhl erheben müssen, und schloss hinter uns die Tür wieder
ab. Wir schluckten.
Doch der Professor tröstete uns, es sei durchaus
möglich in dringenden Fällen, etwa bei einem Brand, das Haus
zu verlassen, man müsse nur vorher den Hauptpförtner anrufen,
der gerade keinen Dienst habe, sondern bei seiner Tante in Wanne-Eickel
weile, deren Telefon kaputt sei.
Nun, wir machten uns unnötig Sorgen. Denn Punkt
17 Uhr, als die schnellsten von uns gerade dabei waren, ihre Diplomarbeit
zu beginnen, stand breitbeinig der blaue Ordnungshüter in der Tür
und kommandierte: „Die Veranstaltung ist beendet. Sie haben keine Sonder-genehmigung
für Abendveranstaltungen. und ich habe Feierabend.“
„Aber...“, packten wir wieder unsere rethorischen Fähigkeiten
aus, und sogar der berühmte Professor versuchte für uns in die
Bresche zu springen und argumentierte: „Aber ich bin ein berühmter
Professor...“
Doch auch er konnte gegen die Bestimmtheit des Pförtners
nichts ausrichten und gab mit einem Ich-stehe-ohnehin-über-den-Dingen-Lächeln
klein bei.
Traurig ist nur, dass sich an dieser Sache die verschworene
Studierendenschaft spaltete. Der eine Teil versuchte, sein Studium binnen
vier oder fünf Semestern in einem neuerlichen Versuch fortzusetzen.
Die andere Hälfte dachte, oh, etwas früher Weihnachtsferien,
fuhr nach Hause und ward nicht wieder gesehen.