www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Das Schließfach

Automaten sind sehr nützlich. Man bekommt für geringes Entgeld umgehend wundervolle Gegenleistungen, ohne einen teuren Arbeitsplatz bezahlen zu müssen. Jedoch: Automaten sind aber auch nicht blöd.
Das Grundübel, welches die Geschichte ins Rollen brachte, ist, daß Studenten – heutige Studenten – faul sind. Ich war jedenfalls so faul, daß ich mein Gepäck, als ich in Stuttgart zur Durchreise war, in ein Gepäckfach steckte, um einen zwanzig Straßenbahn-minütigen Abstecher zu meiner ehemaligen Zivi-Stelle gepäcklos zu bestreiten.
Das allein wäre noch nicht so schlimm gewesen. Hinzu kommt aber, daß Studenten – heutige Studenten – blöd sind. Nachdem ich den sperrigen Rucksack in das letzte leere Schließfach gepfercht hatte, warf ich zwei Mark in den Schlitz, über dem prangerte: „Keine Restgeld-Rückzahlung“, drückte die Tür so gut wie zu und drehte den Schlüssel rum. Postum bemerkte ich, daß ich die Tür nur so gut wie zugemacht hatte, daß sie also de facto völlig offen war.
Ich drehte den Schlüssel wieder halb zurück – aber auf keinen Fall ganz, da ich sonst erneut zwei Mark einwerfen hätte müssen, da zwei Mark zwar 24 Stunden, aber nur eine Schlüsselumdrehung gelten. Jetzt konnte ich die Tür zudrücken, doch den Schlüssel nicht mehr drehen.
Ich gewichtete daran rum.
Ich warf zwei Mark ein.
Der Schlüsel aber ging nicht vor und nicht zurück, die Tür nicht mehr auf und zu. Das Licht am Schließfach bedeutete: „frei“. Das Fach focht einen Machtkampf aus.
Voller Fragen in meinem kleinen Hirn ging ich zum Schließfachmeister und bat um einen Termin. Er sagte, er komme gleich.
Aus Langeweile gewichtete ich weiter, und siehe da: urplötzlich konnte ich den Schlüssel drehen, das Schließfach war zu, der Schlüssel mein.
Ich ging meine Ex-Zivi-Stelle besuchen.
Als ich nach einer Stunde wiederkam, leuchtete ein rotes „Nachzahlen“ auf. Und: „Zwei Mark“. Ich warf eine ein. „Eine Mark“. Ich warf noch eine ein. Immernoch: „Eine Mark“. Jetzt hatte das Schließfach mich unter Kontrolle.
Welch himmelschreiende Ungerechtigkeit! Einfach meine deutsche Mark zu ignorieren. Doch keine Geldrückgabe. Nicht einmal Beweise. Nicht einmal ein Mikrofon zur offenen Auseinandersetzung. Nicht einmal eine Ecke zum Dagegentreten. Ich war geschlagen.
Ich nahm mein letztes Münzstück und warf es ein. „Null Mark“. Ich steckte den Schlüssel in den Schlitz. „Nachzahlen: Zwei Mark“.
Ich hätte den Automaten erwürgen können, hätte sich nur etwas zum Erwürgen geboten.
Wie demütigend nur, daß Studenten – heutige Studenten – lieb sind. Lieb ging ich zum Schließfachmeister und bat neuerlich um einen Termin.
Er sagte: „Klar, Sie müssen nachzahlen.“ Was hätte er auch sonst sagen sollen.
Weil ich wieder Münzen brauchte, kaufte ich mir einen unnötigen Kalender und versuchte das sture Fach mit liebender Ausdauer zu überzeugen. Ich warf Münze um Münze in den Einwurf, worauf die Anzeige abwechselnd „Zwei Mark“, „Null Mark“ und „Außer Betrieb“ entgegnete.
Ich hätte noch stundenlang vor dem Stahlkasten stehen und orientierungslos Geldstücke um mich werfen können, wäre nicht das 43. Markstück (nach dem vierten Kalender von 1997) im Schlitz steckengeblieben.
Jetzt endlich nahm sich der Schließfachmeister meiner an, zückte den Generalschlüssel, befreite meinen Rucksack und verlangte mir eine Gebühr von zehn D-Mark ab.
So hatte ich es doch noch geschafft, als Student – als heutiger Student – ein Schließfach zu bedienen. Schüler können so was nicht. Die brechen immer den Schlüssel ab.