www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Die Altenpflegerin

Wir Christen können uns voll auf unsere Aufgabe als Fromme konzentrieren, denn wir vertrauen dem Gott, unserem Herrn. Wir vertrauen darauf, daß er uns die Dinge beschert, die wir zum leben brauchen. Und manchmal auch ein bißchen mehr.
Im Laufe meines langen, mühsamen, ja aufopferungsvollen Lebens als Altenpflegerin hat mich der Herr nie im Stich gelassen. Stets hat er mich mit meinem täglich Brot und mit Kleidung versorgt. Er hat meine lieben Patienten zu sich gerufen, auf daß sie reichlich Kleidung und sonstiges Hab und Gut zurückließen. Dem Herrn sei gedankt!
Kürzlich hat der Herr auch meine Schwester aus einem langen Krebsleiden erlöst und zu sich gerufen. Glücklicherweise hat er ihren Kleiderschrank nicht gerufen und meinen Schwager mit einer spartanischen Einstellung gesegnet, so daß nur mir der gesamte Kleiderschrank als letztes Zeichen ihrer schwesterlichen Dankbarkeit blieb.
In aller Bescheidenheit bin ich mit leeren Händen, so wie mich Gott geschaffen hat, zu meinem Schwager gegangen, um zu sehen, was meine Schwester alles dem irdischen Leben zurückgelassen hat. Was ich sah, verschlug mir fast die Sprache. Dem Himmel sei Dank, daß mein Schwager so viele Müllsäcke im Haus hatte!
Wie sonst hätte ich all die gesegneten Kostbarkeiten an Nähkunst nach Hause schaffen sollen! Den vornehmsten Schrank habe ich für die Kleider freigeräumt, damit der Geist meiner Schwester auch forthin diese Stoffe erfüllen kann. Die alten Kleider der – Gott hab sie selig – Frau Gruber habe ich in den Keller geräumt, die altmodischen Fetzen der -– Gott hab sie selig -– Frau Himmelsinger habe ich in der alten Kommode des – Gott hab ihn selig – Herrn Dohmer untergebracht, und für die restlichen 13 Müllsäcke hat mir die Witwe des – Gott hab ihn selig – Herrn Heimers mit einem edlen Schrank aus massiver deutscher Eiche unter die Arme gegriffen.
Der Herr meint es wirklich gut mit mir. Zu allem Überfluß hat mir eine meiner noch lebenden Schwestern zwei alte Betten vorbeigebracht, mit der Bitte, ich möge diese doch an Hilfsbedürftige in Bosnien weiterleiten. Diese Ungläubige! Soll ich etwa die Gaben des Herrn verschmähen und sie stattdessen Subjekten geben, die keine Zeile der Heiligen Schrift verstanden haben und in barbarischer Weise aufeinander losgehen? Nein, niemals werde ich die gesegneten Betten meiner Schwester derart verleugnen!
Und außerdem könnte es doch sein, daß einmal ein Fremder am Ende seiner Kräfte bei mir Unterkunft begehrt. Soll ich ihn dann auf dem Fußboden schlafen lassen? Dann käme er doch nie auf den Gedanken, aus lauter Dankbarkeit in einer letzten Kraftanstrengung seinen Nachlaß in meine guten, frommen Hände zu überschreiben.
Aus purer, samaritanischer Nächstenliebe habe ich also beschlossen, das Ferienhäuschen der alten – Gott hab sie selig – Frau Dammeier leerzuräumen, um dort mit den zwei Betten eine schmucke Bleibe für Hilfsbedürftige mit dickem Geldbeutel einzurichten.
Für den obligatorischen Swimming-Pool sind wir noch am sammeln. Schließlich dient das Schwimmen ja der Gesundheit der Geschöpfe Gottes. Und der Herr wird sicher ein Auge zudrücken, wenn einmal Urlauber – ein Gast aus reinem vergnügen in den Pool springt.
Die Orgel aus unserer Kirche macht sich in unserem neuen Feriendomizil übrigens besonders schmuck. Der Kirchengemeinderat war leicht davon zu überzeugen, daß es sich im Gottesdienst gemeinschaftlicher a capella singt. Der neue Kirchenraum wäre sowieso zu klein für die Orgel gewesen.
Denn die alte Kirche wird ja derzeit ausgeräumt. Da soll ein christlicher Erlebnispark hinein. Dem Herrn zur Ehre. Und uns zum Wohle.