www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Die Erbschaft

Ob Bauern von der Alb bescheiden sind, weltfremd oder einfach clever – wer will das trefflich beantworten? Eines sind sie auf jeden Fall nicht: in Verlegenheit zu bringen.
Bauer Mattheis war gestorben und hinterließ seiner Erbengemeinschaft, deren Wortführer Jungbauer Peter und Jungbauer Hans waren, einige Äcker und ein altes Haus in der Ortsmitte von Lonsee.
Beim Notartermin ging es darum, den Umfang des Erbes festzuhalten, und sich darüber zu unterhalten, wie damit umzugehen sei. Zum weiteren Verständnis sollte man wissen: Der Notar verdient anteilig an der Summe. Je höher das Erbe, umso höher sein Honorar.
Bei Äckern, da kannten sich Peter und Hans gut aus, und so waren die Grundstückswerte der Flurstücke schnell beziffert. Schließlich wollte man die Grundstücke verkaufen und war schon von daher an einem angemessenen bis guten Preis interessiert.
Anders bei dem alten Haus im Kern des Ortes Lonsee. Das Haus war so alt, daß es niemand mehr kaufen wollte, da es zu renovieren zu teuer war.
„Wie schätzen Sie den Wert des Hauses, meine Herren?“, fragte der Notar.
„Des hot koin Wert“, antwortete Peter.
„Es kann nicht sein, daß ein Haus keinen Wert hat. Irgendeinen muß es doch haben.“
„Noi, des hot koin.“
„Nehmen Sie doch das Grundstück. Das liegt mitten im Ortskern, das bringt gut und gerne –“
„Aber do stoht doch des Haus drauf. Solang die Bruchbud do drauf stoht, isch des Grondstück koin Pfennig wert.“
„Aber seien Sie doch ernsthaft.“
„I ben ernschthaft. Koin Pfennig, sag i. Do müßtet Se eigentlich no draufzahla.“
„Sehen Sie: Ich muß etwas in das Dokument aufnehmen. Ich brauche einfach einen Wert für das Haus.“
„Gut, gut, schreibet Se, sag’ mr, schreibet Se oifach, schreibet Se: eine Mark.“
„Wie bitte?“
„Des Haus mit Grundstück isch eine Mark wert.“
„Ich kann doch nicht... Verstehen Sie doch auch meine Situation.“
„Situatio, Situatio, und wenn des Haus halt et mehr wert isch? Kann i ‘s vielleicht schener zaubra? Oi Mark, und dobei bleib i.“
„Das geht aber nicht. Da Sie eine Erbengemeinschaft aus fünf Personen sind, muß der Wert des Hauses wenigstens durch fünf teilbar sein, falls jemand das Haus kaufen möchte, etwa einer von Ihnen.“
„Oiner von uns?“, fiel Hans ins Gespräch mit ein. „Ja, i glaub dr Peter hot Intresse. Also, i sag, des Haus isch a Millio wert, mindeschtens.“
„A Millio! I glaub’, du spensch! Oi Mark, sag i, ond koin Pfennig mehr!“
„Doch! A Millio! Awa, zwoi Milliona, in der Lage! Ond so alt, des isch doch a wahres Kulturdenkmal! Des wird no berühmt! Beschtimmt zwoi Milliona, wenn net drei!“
„No nemm’s doch, Du Sempl! Wenn Du obedengt drei Milliona zu verschenga hosch! Oi Mark isch des Heisle wert, ond domit baschda!“
„Meine Herren, ich bitte Sie. Wir wollen doch den Anstand wahren. Sie müssen sich schon auf eine Summe einigen. Sonst muß ich es schätzen lassen. Und das wird teuer.“
Das wiederum wollten die Jungbauern freilich unbedingt verhindern.
„Zwoi Milliona!“
„Oi Mark!“
„Oi Millio!“
„Oi Mark!
„Neunhunderttausend!“
„Oi Mark zwanzig!“
„Bitte, so kommen wir doch nicht weiter...“
„Achthunderttausend!“
„Oi Mark zwoiazwanzig!“
„Ich nehme dann einfach den höheren, angemessenen Wert. Abzüglich Steuern und Honorar blieben also beim Verkauf des Hauses –“
„Was? Honorar?“, platzten Hans und Peter heraus.
„Oi Mark! I sag’s doch!“
„Ja! Mein Bruder hot recht. Oi Mark, i lenk ei.“
„Oi Mark, Hand drauf.“
„Oi Mark, ganz bestimmt. Totsicher, des hot dr alte Mattheis au immer gsagt.“
„Also schreibet Se: Oi Mark.“
„Meine Herren...“
„Doch, oi Mark, was stemmt, stemmt.“
„Alte Familiatradition.“
„Gell, Hans, oi Mark.“
„Ja, Peter, oi Mark.“
(...)
Und jetzt weiß man endlich, warum Notar ein unbeliebter Beruf ist und jeder Bauer auf der Alb sein Häusle hat.