www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Das Zivi-Dasein bringt viele Enthaltsamkeiten mit sich.
Auf meine Prinzessin muß ich ganz massiv verzichten, was nicht nur
zu Bauchweh und Magengeschwüren führt.
Meine Prinzessin und ich wohnen derzeit je nach Konstellation
eine Dreiviertel bis zwei Zugstunden auseinander und haben deprimierende
Arbeitszeiten. Wenn ich frei habe, dann kann man darauf wetten, daß
sie Wochenenddienst hat und andersrum. So ergibt es sich, daß wir
uns manchmal eine ganze Woche oder länger nicht sehen. Das sind acht
oder mehr Tage und acht oder mehr Nächte!
Nur wer ähnliches mitgemacht hat, kann sich vorstellen,
welche Qualen das mit sich bringt welche Qualen es mit sich bringt, Abende
zitternd und schwitzend vor dem Telefon zu verbringen, zigmal den Hörer
abzunehmen, um zu prüfen, ob das Telefon noch funktioniert, ebenso
häufig den Stecker zu kontrollieren, wieder und wieder das Foto seiner
Liebsten aus dem Geldbeutel zu kramen, um sich zu vergewissern, daß
es sie auch wirklich gibt, und sich nicht aufs Klo zu trauen, weil sie
sonst sicher genau in diesem Augenblick anruft.
Der Vorteil an diesen einsamen Abenden (an denen schließlich
immer pünktlich um 21 Uhr der Anruf kommt) ist, daß die Liebe
Zeit hat zu wachsen. Je mehr menschliche Schwächen in Vergessenheit
geraten, desto heller erscheint der Glanz meines Mädchens, je größer
meine Sehsucht wird, desto wunderbarer erscheint mir Aussehen, Auftreten
und Ausstrahlung meines Engels.
Der zweitgrößte Schock ist daher, wenn ich
am Wochenende meine Prinzessin bei ihren Eltern besuche, daß sie
doch nur ein Mensch ist: keine Flügel, keine übermenschlichen
Kräfte und das ist der größte Schock mit eigenem Willen.
Als Paar ist es immer wichtig, sich blind zu verstehen.
Ganz blind natürlich nicht, eher durch kurzen Blickkontakt, aber ohne
Worte. Etwa, wenn man am elterlichen Tisch zu Abend ißt und es aus
meiner Sicht Zeit wäre, sich nach oben zu verabschieden. Doch leider
klappt diese Blind-Verstehen bei uns nicht sie gewinnt immer.
Das Weintrinken mit den Eltern ist ja auch ganz gemütlich,
und die Geschichten sind spannend. Nur: Da ist permanent dieser beißende
Gedanke im Gehirn, dieses: Wenn nicht jetzt, wann dann? Soll heißen:
Wenn wir hier noch weiter fröhlich sind, sind wir nachher zu müde,
um Zeit für uns beide zu haben, und morgen fahre ich wieder weg, ohne
das wir etwas voneinander hatten, und dann ist das und das und dies und
jenes, und wenn wir uns wiedersehen, ist es zu spät zum Kinderkriegen.
Irgendwann ist der Abend dann vorbei, und meine Prinzessin
hat Zeit für mich, doch ich bin verbittert und kann vor Heulkrämpfen
nicht mehr reden.
Dies ist der glücklichere Verlauf eines Besuchs.
Denn so beschließt man schließlich, daß es vielleicht
ganz gut ist, sich eine Weile nicht zu sehen, und man verkraftet die einsamen
Abende besser.
Läuft aber alles optimal, dann beginnt beim Abschied
das große Seufzen und Jammern über die Böswilligkeit des
Lebens, welches das große Glück einfach nicht zulassen will.
Man könnte aus der haut fahren vor lauter Ungerechtigkeit, wünscht
die ganze Welt (oder alternativ sich und seine Freundin) zum Mond und verpaßt
garantiert die S-Bahn.
Und das Schlimmste: Die Geschichte beginnt von vorn.