www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Fahrschulmafia

Die Anforderungen, um bei uns den Führerschein zu bekommen, sind – berechtigterweise – sehr hoch. Wer aber sehr gut vorbereitet und schon überaus geübt ist, der hat immerhin zwei Möglichkeiten. Entweder er besteht nicht oder er fällt durch.
Mein Fahrlehrer von der Fahrschule „Nur Mut“ machte mich gleich darauf aufmerksam, daß es in den letzten Jahren niemand geschafft habe, die Prüfung zu bestehen, ohne zuvor einen speziellen Sicherheitskurs bei der Firma „ReLeKo“ zu absolvieren. Das koste allerdings eine Kleinigkeit.
Ich verzichtete auf die Kleinigkeit und ging selbstbewußt in die Prüfung. Nicht einmal die Beobachtung, daß mein Fahrlehrer drei Zigaretten auf einmal im Mund hatte, beunruhigte mich. Nach dreißig Metern sollte ich quer zur Straße einparken. Der Parkplatz war sogar relativ breit. Ich schaute in den Innenspiegel, den Außenspiegel, schulterblickte, blinkte, bremste. Ich holte Luft, legte den Rückwärtsgang ein, schaute nach vorne, nach hinten, musterte die Parklücke, gab ganz vorsichtig Gas. Als die Kante des davor parkenden Autos im Dreieckfenster der hinteren Türe auftauchte, lenkte ich ein bis zum Anschlag, alles paßte genau, und dann rummste es. Mein Fahrlehrer trat in die Bremsen. Es piepste. Hoppla, durchgefallen.
Zunächst war ich wie erstarrt. Als ich mich langsam erholt hatte, stieg ich aus und sah hinter dem Auto ein paar Stangen, die einst vermutlich einen Kinderwagen gebildet hatten. Kein Mensch weit und breit. Doch mich ließ das Gefühl nicht los, daß der Kinderwagen mehr gegen das Auto als das Auto gegen den Kinderwagen gekracht war.
Unverdrossen meldete ich mich zur nächsten Prüfung an. Ich witterte schon die Möglichkeit einer groben Ungerechtigkeit und war besonders vorsichtig. Nach dreißig Metern forderte mich der Prüfer auf, quer zur Straße einzuparken. Ich überhörte das und fuhr geradeaus weiter, hinter mir sah ich einen Kinderwagen über die Straße rollen. Das sollte wohl eine Warnung sein. Nach der Ermahnung des Fahrlehrers stieß ich in eine Parklücke, ohne Probleme. Ich bemerkte auch beim Ausparken das Kind, das zwischen den Autos hervorkroch, und ließ mich nicht davon beeindrucken, als an sämtlichen Rechts-vor-links-Stellen just in dem Moment, in dem ich heranfuhr, ein Fahrrad oder Kleinwagen heranschoß. Ich hielt jedesmal. Ein Fahrer winkte mich vorbei und trat aufs Gas, als ich gerade anfahren wollte. Ich mußte scharf bremsen. Auf der Hauptstraße wackelte ein Fahrrad vor mir her, so daß ich mich nicht getraute, bei unter zwanzig Stundenkilometern zu überholen. An der Ampel zeigte der Radfahrer deutlich „nach rechts“ an, um dann nach links zu fahren und auf der Kreuzung umzufallen. Ich war zum Glück noch nicht einmal losgefahren, war damit noch im Rennen.
Jetzt kam der Überlandteil. Ein Laster drückte sich in einer Einfahrt vor mich und fuhr genüßlich bei siebzig Stundenkilometern durch die Gegend. Auf einer langen Geraden forderte mich der Fahrlehrer auf, zu überholen. Ich überholte. Ein Traktor stach aus einem Waldweg. Ich bremste, der Lastwagen bremste, ich gab Gas, der Lastwagen gab Gas. Ich bremste noch schärfer und bog nach links in einen Parkplatz ein, den der Himmel geschickt hatte. Ich tat so, als hätte ich schon immer diese Absicht gehabt, entschuldigte mich kurz und verschwand für einen Augenblick in die Büsche. Man muß eben manchmal.
Als ich zurückkam, blickte ich in staunende und irgendwie doch mutmachende Gesichter von Prüfer und Fahrlehrer. Bis zurück in die Stadt geschah nichts Furchteregendes. Doch wenige Meter vor dem Ziel, dem Ausgangspunkt der Prüfung, versperrte an einer Baustelle ein Bauwagen meinen Teil der Fahrbahn. Es war in einer Kurve. Ich sah gerade noch, wie ein entgegenkommendes Auto hinter dem gelben Wagen verschwand und wartete, bis es an mir vorbeifuhr. Es fuhr nicht vorbei. Der Fahrlehrer forderte mich auf, zu fahren. Wir debattierten kurz, er wurde schärfer. Mit dem Gefühl, gezwungen zu werden, in einen Abgrund zu springen, gab ich Gas und lenkte aus. Natürlich kam ein Auto entgegen. Ich bremste, mein Fahrlehrer bremste, es piepste. Wieder durchgefallen.
Am nächsten Tag suchte ich in den Gelben Seiten nach „ReLeKo“. „Rechnen, lenken, konzentrieren“ war die Unterschrift, ebenso: „Sicher durch die Prüfung.“ Ich suchte die Adresse auf, es war eine kleine, miefige Kneipe in der Altstadt. Ich fragte den Kneipier Hardy nach „ReLeKo“, und er führte mich in ein Hinterzimmer im Versicherungsbüro-Stil. Ich meldete mich für einen Kurs, ließ dafür läppische 500 Mark liegen, der Führerschein kostet ohnehin eine Menge.
Schon am nächsten Tag war der Kurs. Um Halbacht erschien ich in der Kneipe, zusammen mit vier anderen verzweifelten Fahrschülern. Pete stellte sich uns vor und sagte, er solle den Kurs leiten. Dann fragte er jeden von uns, ob er geradeaus fahren könne. Wir bejahten und wurden nach Hause geschickt.
Vor der Prüfung hatte ich riesigen Bammel. Zuerst würgte ich den Motor ab, was mir noch nie zuvor passiert war. Dann zitterte ich mich die Tempo 30-Zone entlang. Nur langsam gewann ich an Sicherheit.
Die Stadt aber war wie leergefegt. Jede Abzweigung war seltsamerweise abgesperrt wegen irgendwelchen mysteriösen Kanalarbeiten. Wir drehten vier Runden um den Block, ohne eine andere befahrbare Straße zu finden, dann hatte ich bestanden.