www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Die Moral vorweg: Fahre nie Auto, stelle beim Anhalten
immer den Motor ab und sei vor allen Dingen nie hilfsbereit!
Zum Jugendhausfasching in Blaubeuren hatte ich mir das
Auto meines Bruders geborgt, um nach der Veranstaltung – um zwei Uhr nachts
– noch nach Hause nach Blaustein zu kommen. Das Auto hat einen kleinen,
aber nicht unwesentlichen Fehler: Die Fahrertür ist nur von innen
zu öffnen.
Die Straße hinter der Halle ist auch um zwei Uhr
nachts noch völlig zugeparkt. Es passen keine zwei Wagen aneinander
vorbei. Gerade fahre ich an der Zufahrt zur Halle vorbei, da trete ich
auch schon scharf auf die Bremse, weil das Auto vor mir sich nicht bewegt.
Ich warte. Ich betätige die Lichthupe. Ich warte. An dem Auto vor
mir geht die Warnblinkanlage an. Sie geht wieder aus. Sie geht wieder an.
Ich denke, die vor mir müssen ernsthafte Probleme haben. Aus Hilfsbereitschaft
und Ungeduld schnelle ich unbedacht aus meinem Wagen, schlage die Tür
zu und will sehen, ob ich dem Wegversperrer helfen kann.
Eben in dem Augenblick, in dem mir aufgeht, daß
die Fahrertür ja von außen nicht zu öffnen ist, die Beifahrertür
indes von innen verriegelt ist und mein Motor läuft, fährt das
Auto vor mir weg.
Jetzt bin ich der Wegversperrer. Die Autos hinter mir
beginnen zu hupen. Ich trete geistesgegenwärtig die Flucht an.
Das mögen zumindest die anderen Autofahrer gedacht
haben. Ich allerdings habe ein klares Ziel: Die Wohnung meines Bruders,
von dem ich den Wagen geliehen habe. Sie liegt auf einem Hügel, nicht
weit von der Halle entfernt. Ich renne, was meine Lungen hergeben, erreiche
erschöpft das Häuschen und läute Sturm. Und läute.
Und läute.
Nach einer halben Ewigkeit schleppt sich eine Mitbewohnerin
der WG zur Tür. Ich stoße sie zur Seite, dränge mich hinein,
stürze die Treppen nach oben ins Schlafzimmer meines Bruders und seiner
Frau, platze durch den Türrahmen und schreie nur: „Den Ersatzschlüssel!
Den Ersatzschlüssel!“
„Die Russen kommen!“, murmelt mein Bruder schlaftrunken,
und nachdem seine Frau ihn geweckt hat, sagt er: „Welchen Ersatzschlüssel?“
Ich erkläre ihm die prekäre Lage, in der sich
sein Auto und damit auch er und ich uns befinden, worauf er fragt: „Welcher
Ersatzschlüssel?“
Ich durchwühle sein Nachtkästchen, seinen Wertsa-chenkoffer
und seine Jackentasche. Ich finde nichts. Einen Schraubenzieher stecke
ich schnell ein. Vielleicht kann ich den noch brauchen. Dann hechte ich
die Treppen wieder hinunter und höre meinen Bruder – er ist einfach
die Ruhe in Person – noch rufen: „Ersatzschlüssel? Gibt es so etwas
überhaupt?“
Auf dem weg zur Halle sehe ich schon von weitem blaue
und gelbe Warnlichter ihre Kreise ziehen. Eine gigantische Menschenmasse
hat sich im Umfeld meines Wagens versammelt. Sie reden wild durcheinander.
„Gleich bumst es!“
„Ich sag’ dir: Das ist die PLO!“
„Sparmaßnahmen – jetzt werden auch Straßen
gesperrt.“
Die Feuerwehr hat den Standplatz meines Wagens weiträumig
abgesperrt. Die parkenden Autos wurden entfernt. Um die Halle stehen Löschzüge
und Polizeiautos. Das Fernsehen ist da. Und der Mann des Sondereinsatzkommandos
glaubt mir nicht, daß das mein Wagen ist.
Irgendwas kriege ich mit vonwegen da sei eine Bombe im
Auto und so weiter. Und da ich noch überlege, an wen ich mich wenden
soll, höre ich schon jemanden rufen: „Er war’s! Er hat das Auto hier
abgestellt!“
Ich sehe im Geist das Sondereinsatzkommando über
mich herfallen und tauche so schnell wie möglich in der Masse unter.
Aber wie kann ich mich und das Auto meines Bruders wieder aus dem Schlamassel
ziehen?
Von einem entfernten Bekannten, den ich zufällig
treffe, borge ich mir seinen Neon-Techno-Faschingsanzug und mogle mich
damit bei einem besonders unbedarften Beamten als Bombenentschärfer
durch die Absperrung.
Dann mache ich mich vorsichtig mit dem Schraubenzieher
an den Wagen heran. Aus der Menge der Schaulustigen vernehme ich aufgeregtes
Raunen.
„Jetzt passiert was!“
„Gleich bumst es!“
„Wollen wir nicht ein paar Schritte zurückgehen?“
Währenddessen nimmt das Sondereinsatzkommando einige
unbeteiligten Bürger fest in der Annahme, es handle sich um mich.
Ich aber drücke meinen Schraubenzieher unter die
Fensterscheibe der Beifahrertür und stochere ein bißchen rum
– wie man das eben in den Filmen immer sieht – bis sich die Sicherung löst
und ich die Tür öffnen kann. Ich stelle den Motor ab, nehme aus
dem Handschuhfach den Kosmetikkoffer meiner Schwägerin (wobei ich
beiläufig den Ersatzschlüssel entdecke) und beginne, ihn zu entschärfen.
Nach einigen Handgriffen gebe ich einem der Sicherheitsmänner ein
entwarnendes Zeichen.
Die Show ist vorbei. Die Menge zerstreut sich langsam
und ich mich schnell.
Ich glaube, das Auto lasse ich erst mal stehen. Das kann
mein Bruder dann morgen holen.