www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

   zurück   

Fernwärme

Fernwärme, das System, das einen Verbund von Gebäuden zentral mit Wärme versorgt, ist technologisch innovativ, ökologisch sinnvoll und menschlich kommunikativ.
Bei uns in Blaubeuren haben sie so eine Leitung gebaut und dazu in einer Nacht und Nebel-Aktion (bei uns kein Kunststück – da ist es immer Nacht und neblig) eine Leitung vom Hallenbad quer durch den Stadtpark bis zum Klostergebäude gezogen. Jetzt kriegen da alle das gleiche Warm, und die Öllagerstätten werden zu Weinkellern umgenutzt.
Der Clou: Alle Temperaturwünsche werden nun zentral über den Rechner der Stadtwerke Ulm gesteuert. Wer eine Änderung der Temperatur wünscht, muß mit dem Telefon in Ulm anrufen, und Bruno drückt dann das Knöpfchen auf dem PC. Manchmal auch das richtige.
In meinem Zimmer war es Anfang November etwas wärmer, als ich das gewohnt bin. Im Warmen kann man so schlecht denken. Also testete ich kurzerhand den Service und rief in Ulm an.
„Stadtwerke Ulm. Bruno Brunevski.“
„Hier Albrecht Reuß. Können Sie die Temperatur in meinem Zimmer senken?“
„Moment bitte.“
„Und?“
„Computer meinen, Temperatur stimmt. Wegen dicken Mauern von Kloster Heizung muß machen mehr warm.“
„Aber ich wohne doch gar nicht im Kloster!“
„Warten Sie. Andere Leitung –“
Pause.
„Sind Sie noch dran? War Schüler. Hat gemeint, Kollege hat Zimmer verlassen, ich soll machen wärmer.“
„Ja, nochmal zu meinem Zimmer.“
„Moment bitte. Anderes Telefon –“
Pause.
„War Kindergarten. Solle machen weniger warm. Aber kann nix machen. Computer sagen so.“
„Denselben Wunsch habe ich auch. Das ist ja wie in der Sauna. Sie müssen das doch regeln können!“
„Ich erklären – aber erst gleich. Bitte Verständnis, anders Telefon.“
Pause.
„War Zimmerkollege von vorher. Solle wieder machen mehr kalt. Ist zurückgekommen in Zimmer.“
„Um auf mein Zimmer zurückzukommen –“
„Können machen nix. Computer rechnen aus, und wenn Computer gefüttert mit falschen Daten, Bruno können nix machen.“
„Aber bei den anderen können Sie doch auch die Temperatur verstellen!“
„Bei anderen Dicke von Mauern isse richtig eingegeben.“
„Und kann man das bei mir ändern? Oder muß ich mein Leben lang schmoren?“
„Können schon. Aber müssen kommen Chef. Isse gerade in Urlaub. Mallorca. Kommen wieder in drei Wochen. Aber Moment, andere Apparat–“
Pause. Ich überlege, ob ich den Nekermann-Sommerkatalog schon ins Altpapier getan hatte oder nicht.
„War Chef von Kloster. Haben gesagt, Wohnung zu warm. Aber könne nix machen. Problem isse, daß Computer braucht Erfahrungswerte, und die er haben nicht in Anfangsphase.“
„Kann man die Heizung nicht ganz abschalten?“
„Leider isse unmöglich. Könne vielleicht Rohr abschrauben und Wasser lasse in Keller. Mache kleine Schwimmingpul, ha ha.“
„Spaß beiseite.“
„Warten bitte. Andere Leitung.“
„Wieder Schüler. Rufe heute schon zum achten Mal an. Kollege isse wieder raus aus Zimmer. Müsse wieder machen weniger warm.“
„Können Sie nicht noch ein Mal versuchen, ob Sie den Computer nicht zur Einsicht bewegen können?“
„Kann nix machen. Will erklären: Kloster zu kalt wegen dicke Mauern. Müsse mehr machen warm, also überall isse mehr warm. Verstanden?“
„Ja, ja. Schon lange. Es geht nur darum: So hält man das nicht aus!“
„Wolle erklären: Computer isse schlecht programmiert. Aber kann machen nix. Nur Chefe. Und Chefe isse auf Mallorca.“
„Schön. Klasse. Müssen wir eben selber schauen, wie wir das in Griff kriegen.“
„Warten bitte noch eine Augenblick. Andere Telefon.“
Pause. Durchs Fenster sehe ich, wie der Kindergarten in Mänteln und dicken Jacken ins Freie umgezogen ist. Aus dem Innenraum ziehen Dampfschwaden.
„Waren wieder Chefe von Kloster. Habe geschimpft und gesagt, viel Geld und viel Rüffel, und jetzt viel zu viel warm. Aber könne nix machen. Ich erkläre –“
Ich legte auf und ging nach Draußen, um nachzudenken. Das taten offensichtlich auch einige andere. Zusammen kamen wir auf kreative Ideen. Wir kauften Zimmerpalmen, viel Alkohol, Badehosen, Kinderplanschbecken und Liegestühle und verbrachten drei riesige Wochen im kalten und trüben November. Der Blaubeurer Nebel erreichte durch die Anreicherung mit Dampf eine nie dagewesene, historische Dichte, so daß dem Ort schon der Titel „Klein-London“ gegeben werden sollte.
Nach drei Wochen sank die Temperatur auf einen Schlag drastisch ab. Verdutzt schaute ich aus dem Fenster und sah, daß auch im Kindergarten und bei meinem Nachbarn kein Dampf mehr aus den offenen Fenstern drang. Fröstelnd kletterte ich aus dem Liegestuhl und wählte die Nummer der Stadtwerke.
„Stadtwerke Ulm. Bruno Brunevski.“
„Hier Albrecht Reuß. Können Sie bitte die Temperatur in meinem Zimmer erhöhen?“
„Kann nix machen, leider. Chefe isse zurück von Mallorca und sagen, isse viel zu heiß. Habe Computer umgestellt. Kann nix machen. Aber wenn wollen, könne erklären, warum in Kloster müsse sein viel warm.“