www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Freizeitfußball

Daß es mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, sich bei Freizeitturnieren anzumelden, ist spätestens seit Mustafa (vgl. Mustafas Anmeldeturnier) weitläufig bekannt. Schade eigentlich. Denn wer es nicht schafft, der verpaßt etwas.
Anfangen tut der Spaß meistens damit, daß man die Zeit für die Anreise zu knapp kalkuliert hat oder nicht eingerechnet hat, einen Teil der Spieler aus dem Bett klingeln zu müssen. So wird man dann meistens bereits zum ersten Spiel aufgerufen, während man gerade die Halle betritt.
Die erste Disziplin heißt daher: Umziehen! Wer gut darin ist, steht trotzdem beim Anpfiff auf dem Feld. Wer nicht so gut ist, der joggt wenige Minuten später mit verdrehtem T-Shirt hinterher – und hat die Sympathien des Publikums auf seiner Seite.
Das erste Spiel endet grundsätzlich 1:1-Unentschieden.
Danach bestaunt und belacht man die Künste der anderen Mannschaften. Da gibt es die Halbprofis, meist verkleidete Regionalligafußballer des SSV Ulm 1846, die lustlos hin und her trotten, um sich ein lächerliches Zubrot von 200 Mark geteilt durch Anzahl der Spieler zu erwerben.
Dann gibt es die typische Thekenmannschaft, bestehend aus schwäbischen Mittvierzigern, und ausgerüstet mit perfekten Trikots mit Sportgeschäft-Werbeaufdruck und einer – gemessen am Leistungsvermögen – zu groß ausgefallenen Motivation. Diese Mannschaft, die es früher vielleicht gewöhnt war, zu siegen, verliert die ersten beiden Spielen 0:11 und 0:7, im dritten steht es 0:5, dann kommt der große Auftritt.
Der Schiedsrichter pfeift zurecht Eckball gegen die Mittvierziger und Horst, der Mannschaftskapitän, geht hoch und schnaubt den jungen Schiedsrichter an: „Sa’ mol! Spinnsch Du eigentlich! Des war doch niemols Eckball! “ Daraufhin wird Horst gewöhnlich des Feldes verwiesen, was für den Torhüter den Startschuß für sein Solo bedeutet. Er reißt sich mit einer Geschwindigkeit, die ihm bis dato niemand zugetraut hatte, seine Handschuhe von den Händen und knallt sie mit aller Wucht dem Schiedsrichter vor die Füße.
Dann sagt er gelassen, aber deutlich hörbar: „Gut! Gut! Wenn man uns hier nicht will, bitte! Gehen wir halt, Jungs!“ (Man beachte: „Jungs“!) Die Mittvierziger sehen sich um den verdienten Turniersieg geprellt, trotten beleidigt vom Feld, spülen ihren Frust hinunter und kommen im nächsten Jahr wieder.
Und dann gibt es da noch die spielfreudigen und durchaus sympathischen Teams der Türken und der Kosovo-Albaner. Außer sie treffen aufeinander.
Nach einer spannenden Partie steht es kurz vor Ende 2:2, dann findet auf Höhe der Mittellinie ein harmloser Zweikampf statt, und ehe man kapiert hat, was passiert ist, gehen zunächst die Spieler auf dem Feld und Sekundenbruchteile später sämtliche sich in der Halle befindenden Türken und Kosovo-Albaner aufeinander los.
Woran das liegen mag, ist mir unbegreiflich. Vielleicht liegt es daran, daß die Türken die Griechen nicht mögen. Die Griechen aber mögen die Mazedonier nicht, weshalb die Türken wiederum die Mazedonier unterstützen müssen. Und da die Mazedonier keine Kosovo-Albaner mögen, mögen dann auch die Türken keine Kosovo-Albaner.
Auf alle Fälle brodelt dann der Tumult durch die Halle, eine Zuschauerin erleidet einen Herzinfarkt, die Umgangssprache wechselt ins Türkische, nach einer gewissen Zeit werden alle Mannschaftsführer in die Sprecherkabine gebeten, wo dann engagiert auf türkisch debattiert wird (nachdem die Kosovo-Albaner disqualifiziert worden waren und die alle Schwaben außer uns beleidigt oder verängstigt abgereist waren), bis man sich diplomatisch darauf einigt, das Turnier fortzuführen, aber es sofort (!) abzubrechen, falls nochmals (!) so etwas vorkomme.
Nach dieser kurzen Unterbrechung hat man das zweite Spiel, hat noch wackelige Knie und verliert unglücklich 0:1.
Das Turnier kann aber  nun wie geplant durchgeführt werden – von kleineren Pannen abgesehen, etwa wenn der Ball sich in der Deckenkonstruktion verfängt (5 x) oder die Anzeigetafel ausfällt (43 x).
Nach dem bislang nicht zufriedenstellenden Turnierverlauf beginnt nun die große Zeit des Rechnens. Die Mannschaft bestellt einen Unterausschuß, der fürs letzte Spiel die Höhe des benötigten Sieges berechnen soll – inbegriffen sämtlicher möglicher Ergebnisse der anderen Spiele. Nach einigen Minuten Klausur kehrt der Unterausschuß zurück und berichtet: „15:0.“
Hochmotiviert stürzt man sich danach ins alles entscheidende Gruppenspiel und dreht mächtig auf. In der Regel hat man dann kurz vor Schluß die großartige Torchance zum 15:0, doch ausgerechnet in diesem Augenblick fällt einem ein, daß man sich verrechnet hat und sogar ein 16:0 benötigt. Das verunsichert einen natürlich so, daß man den Ball – wenn man ihn überhaupt trifft – weit übers Tor schießt. Kurz danach merkt man, daß man mit 15:0 doch richtig gelegen hatte, doch nun ist es zu spät.
Frustriert verläßt man die Sporthalle, fühlt sich als moralischer Sieger, und wartet beharrlich auf die nächste Chance, um eines Tages zum Mittvierziger aufzusteigen.