www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Mei'm Freund seine Freund

„Bei diesen Freunden braucht man keine Feinde,“ sagt mein Freund immer. Er meint es nicht so. Schließlich bin auch ich sein Freund. Was seine anderen Freunde angeht – ich meine es ganz bestimmt so.
Freunde sind nicht nur was fürs Leben, sondern auch gut zum Helfen. Also braucht man sie immer dann, wenn’s was zum Helfen gibt. Wahre Freunde erkennt man daher immer daran, dass sie trotzdem kommen.
Ich kam trotzdem. Und zwar mit Bus und Bahn. Ich war in Köln mit meinem Freund verabredet, sollte ihm dort beim Umziehen helfen, er wollte nach Bochum, ich stand also an der Bushaltestelle im Regen, mein Freund wollte mich abholen, doch mein Freund kam nicht. So weit die Fakten. Es geht hier auch nicht in erster Linie um mich. Ich stelle hier nur eine Randfigur dar, die immer im Regen steht. Es geht um die Freunde meines Freundes. Und die sind von einer Art Freund, die nicht trotzdem kommt.
Dafür kommt mein Freund doch irgendwann. Ohne Auto. Denn das Auto, das hat er seinem Freund Basterl geliehen. Und, kleines Problem, er hat es noch nicht wieder.
Also ruft er Basterl an.
„Hey, Basterl! Was macht das Auto?“
Es war ein kurzer Anruf.
Wir gehen zu Fuß durch das Viertel. Vor dem Haus Basterls stehen drei Reifen mit etwas Blech drumrum. Mein Freund flucht, und der Freund von meinem Freund verbarrikadiert sich.
Nach dem siebzehnten Klingeln dringen wir immerhin vor bis zur Wohnungstüre, gehen über zu wildem Klopfen. Eine halbe Stunde später geht Basterl in die Offensive.
Die Tür wird aufgerissen.
„Wenn Du glaubst, hier während Formel eins reinzuplatzen, dann hast Du Dich geschnitten! Mach Dich vom Acker! Ich bin echt bock sauer, dass Du so einen Aufstand machst! Das kannst Du vielleicht mit sonst wem machen, aber nicht mit einem Freund!“
Ein Schlüsselbund kommt klirrend im Gang auf. Eine Wohnungstür knallt. Mein Freund wimmert fluchend vor sich hin.
Da kann mein Freund nichts dafür. Er ist einfach der geborene Kumpel, achtet nicht so sehr auf Anzug und Bankkonto, bevor er jemanden seinen Freund nennt. Immerhin bin auch ich sein Freund.
Deshalb gehen wir nun auch zusammen wie zwei Freunde zu den drei Reifen mit etwas Blech drumrum und fahren zur Wohnung meines Freundes, die darauf wartet, ausgeräumt zu werden.
Dort treffen wir keine Freunde meines Freundes. Denn wie wir wissen, kommen die nicht trotzdem.
Wir machen uns alleine ans Werk, wünschen uns trainierte Muskeln, zählen die Finger herunter, die noch nicht blau sind. Nur wenig später steht die erste Kiste im Auto. Das Auto ist voll.
Dann kam doch ein Freund. Aber einer von der Sorte, die zwar trotzdem kommt, aber hinterher wünscht man sich, man sei ihm nie über den Weg gelaufen.
Es ist Bob.
„Na, am Arbeiten?“
Unser seufzendes Bejahen nimmt er nicht als Bitte wahr mitzuhelfen. Stattdessen macht er sich ungefragt über den noch angeschlossenen Rechner her, lädt sich lang und teuer Unsinn runter aus dem weltweiten Chaos, installiert im Gegenzug unglaublich nützliche Programme, die im Endeffekt dazu führen, dass der Rechner drei Versuche und insgesamt zweieinhalb Tage brauchen wird, um sich überhaupt wieder hochzufahren, um dann, wenn es gelungen sein sollte, einem illegalen amerikanischen Bildchenvertreiber als europäische Vertriebsplattform zu dienen.
„Tschau, war nett,“ sagt Bob und verschwindet wieder. Doch dann hält er inne. Wir fahren zusammen und ahnen die Katastrophe. Nicht helfen ist das eine. Ratschläge geben ist das andere. Es ist schlimmer.
„Ich hab euch einen Rat!“, sagte Bob, „mietet einen Laster! Ach was, ein Kumpel von mir zieht doch auch um. Ihr könnt doch zusammen fahren.“
Gut, wenn man Beziehungen hat. Gut, wenn man die richtigen Leute kennt. Schlecht, wenn man die falschen kennt.
Da wir das noch nicht wissen, laden wir schließlich erst das kleine Zimmer meines Freundes, und dann die Fünf-Zimmer-Wohnung eines gewissen Harney in den – dann doch von meinem Freund bezahlten – Laster, während Harney ziemlich viele Zigaretten raucht und ab und zu einen Spruch reißt.
Für Mitfahrende ist im Laster wenig Platz. Daher nehme ich Bus und Bahn, stehe alsbald in Bochum an der Bushaltestelle im Regen. Offenbar hat es noch eine kleine Komplikation gegeben.
Als ich schaudernd wahrnehme, dass sich der Regen nun bis zum Bauchnabel durchgearbeitet hat, kommt der Laster um die Ecke. Wir tragen die Fünf-Zimmer-Wohnung aus dem Laster in den sechsten Stock. Doch die Möbel meines Freundes kann ich nicht mehr finden.
„Wir mussten nochmal umladen. Harney brauchte noch ein neues Bett.“
Ich schaute meinen Freund flehend an, nicht genau wissend, um was ich eigentlich flehen sollte, am ehesten darum, einfach einzuschlafen und am Strand von Barbados mit einem Cocktail in der Hand wieder aufzuwachen.
Doch die Wirklichkeit spielte in einem grauen Bochumer Vorort und fühlte sich nass und hoffnungslos an.
„Macht aber nichts,“ relativierte mein Freund, „es gibt da eh noch ein anderes Problem.“
So? dachte ich.
„Ich hab noch kein Zimmer hier.“

„Das heißt, ich hatte eins. Aber...“
Aber?
„Aber ich hab’s Basterl für ‘ne Fete geborgt. Jetzt bin ich wieder raus.“
Ich lasse mich frustriert auf einen Bordstein sinken. Er ist nicht trockener als seine Umgebung. Außerdem kommt die Nacht.
„Macht aber nichts,“ beweist mein Freund ein enormes Maß an Durchhaltevermögen. „Ich kann meine Sachen bei einem Kumpel in den Keller stellen.“
Ich wundere mich, wie mein Freund immer wieder einen Kumpel aus dem Hut zaubert. Diesmal heißt er Friedrich und scheint nett zu sein. Auf drei Rädern und etwas Blech drumrum bringen wir des Nachts die erste Kiste nach Bochum. Sie passt natürlich nicht in den Keller.
„Aber das Angebot war doch nett.“
Stattdessen laden wir Friedrich zum Dank zum Essen ein. Friedrich bestellte noch etwas mehr und ließ für seine Freunde etwas einpacken. Es ist mitunter herzzerreißend, wie Freunde sich untereinander Gutes tun. Auf anderer Leute Kosten.
Im besonders grauen Bochumer Morgengrauen endet der wesentliche Teil der Geschichte mit zwei fröstelnden Gestalten auf dem Weg zum Bahnhof, die nichts reden und noch weniger denken.
Aber Freunde ziehen sich auch wieder gemeinsam aus dem Dreck. Ich hab dann einen Bus gemietet und meinem Freund den Umzug gemacht. Er wohnt, bis er was Besseres findet, bei mir. Zehn Wohnheimquadratmeter reichen übergangsweise auch für zwei. Wenn einer halt im Bad schläft. Das bin ich. Im Gegenzug schaut mein Freund nach dem Rechner und installiert einige neue Sachen. Klar ist es etwas eng. Aber mit etwas Toleranz geht alles. Ich finde die Einkaufslisten, die mir mein Freund schreibt, auch vergleichsweise bescheiden. Und am Essen, das ich ihm koche, nörgelt er auch selten rum. Nur die Klamotten, die ich ihm gewaschen habe – da war er etwas sauer. Er hat mir dreihundert Mark abgerungen als Ersatz, weil seine Unterhose verfärbt sei. Ich bin zwar anderer Meinung. Aber ich verstehe auch, dass die Enge zu ungewohnten Reaktionen führen kann. Deshalb überlege ich nun, ob ich nicht ein paar Tage in die Jugendherberge ziehen soll. Für meinen Freund würde ich das ja glatt machen. Aber nur, weil er nicht so ist wie die anderen alle.