www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Fußball der Kulturen

Was die Großen können, das können wir auch. Dieses Prinzip greift im Fußball immer – nicht nur, wenn der Superstürmer im Fernsehen mal wieder aus drei Metern nicht den Pfosten trifft, aber daneben, sondern auch, wenn es darum geht, sich selbst auf dem manchmal grünen Rasen mit anderen zu duellieren. Wenn also die großen drüben in Holland EM spielen, machen wir auf dem Campus dafür auf Africacup.
Der Africacup hat seinen Namen daher, dass Mannschaften aus aller Herren Länder daran teilnehmen. Ich war Angehöriger der deutschen Auswahl, nein, genauer, ich war die deutsche Auswahl, da es mir oblag, die deutschen Spieler auszuwählen, und wie es sich für einen Bundestrainer gehört, fragte ich halt diejenigen, die ich kannte, zum Beispiel meinen Nachbarn Yilmaz, aber der sagte, er spiele schon für die Türkei.
Es gelang mir dennoch, eine deutsche Elf zusammenzusuchen, von der immerhin die Hälfte schonmal gegen einen Ball getreten hatte, doch kurz vor Beginn des Turniers wurde diese von Erich Ribbeck abberufen nach Holland.
Späßle g’macht, aber nein, die wahre deutsche Elf wird schon genug belacht, konzentrieren wir uns also auf die B-Mannschaft.
Das Turnier begann, und ich erklärte meinen Spielern die Abseitsregel. Das erste Spiel war gegen Jordanien.
Dass die Jungs der anderen Mannschaft aus arabischen Gefilden kamen, merkte man nicht nur daran, dass sie Fußball spielen konnten, sondern vor allem nach ihrem ersten Tor.
Achmed schoss ein und begann zu feilschen.
„Sieben zu null!“
Wir entgegneten verblüfft: „Eins zu null!“
Nach kurzer Zeit einigten wir uns auf vier zu drei und freuten uns an unseren ersten drei Toren. Im Folgenden versuchten wir uns ihrer Spielweise anzupassen, und ich meine damit nicht nur, dass wir versuchten, von nun an auch einmal den Ball zu treffen. Ich ergatterte ihn durch einen glücklichen Zufall, schoss aus vierzig Metern aufs Tor, und der Ball trudelte weit östlich ins Aus.
„Tor!“, rief ich und bekam nach kurzem Disput immerhin eine Ecke zugesprochen. Man muss eben handeln können. Sie brachte nichts ein, und so ging das erste Spiel verloren.
Danach spielten wir gegen die Türkei. Uns wurde Angst und Bange vor der Begegnung, denn wir ahnten schon, dass die Türken europäische Effizienz mit südländischer Technik zu vereinigen wussten. Und so verging uns in den ersten Minuten Hören und Sehen. Die Spieler flitzten nur so an uns vorbei, zwei, drei Mal hin und her, dabei immer den Ball eng am Fuß, soweit ich das überhaupt beobachten konnte, da knallte er auch schon gegen das Lattenkreuz, mehrere Male, und wieder und wieder wirbelten die Türken durch unsere zitternde Abwehr. Dann hielt ich mein Bein dazwischen, bekam den Ball, lief aufs gegnerische Tor zu und traf.
So machten es auch andere, und am Ende stand ein sensationeller Fünf-zu-null-Erfolg. Wir konnten es nicht fassen und fragten unsere Gegner, woran es gelegen habe.
„Eure Abwehr schien etwas offen zu sein,“ sagte ich.
„Dazu kann ich nichts sagen, ich war ja Stürmer,“ antwortete der Türke.
Und sein Mitspieler sagte: „Ich auch.“
Ein dritter pflichtete bei: „Ich auch.“
Gleiches sagten ein Vierter und ein Fünfter, und dann alle anderen, und wir bekamen eine leichte Idee.
Nach diesem Sieg durften wir noch ein Spiel spielen, und zur Belohnung nun endlich gegen Afrika, in diesem Fall gegen Marokko. Auf dem Platz herrschte ein unglaublicher Lärmpegel. Die Marokkaner gaben sich alle zugleich taktische Anweisungen, forderten zugleich den Ball, meckerten zugleich, ihn nicht bekommen zu haben und begannen daher zugleich, weitere taktische Anweisungen zu geben. Wenig später gingen sie auf einen Mitspieler los, weil er es nicht geschafft hatte, allen anderen Spielern gleichzeitig den Ball abzuspielen. Der Lärmpegel schwoll an, und wir fragten vorsichtig, was los sei.
„Nichts,“ bekamen wir zur Antwort, „das ist nur unser Temperament.“
Sie begannen nun wieder, in den Pausen zwischen den Streits Fußball zu spielen, und wir standen verängstigt daneben und kriegten ein Tor nach dem anderen. Ich konnte in diesen Minuten die deutschen Nationalspieler sehr gut verstehen. Immer wird mehr Temperament von ihnen gefordert, aber ich hatte in diesem Augenblick vor nichts mehr Angst, als dass das Temperament mich treffen könnte. Also spielte ich den Ball beim Anspiel ganz schnell an Marokko zurück, damit mir auch ja keiner böse wurde.
Es wurde keiner Böse, zumindest nicht uns, nur untereinander haderten die Gegner nach dem klaren zweistelligen Sieg mit der Taktik – uns hingegen wurde Mitleid zuteil.
„Ihr müsst auf eure deutschen Tugenden setzen!“, empfahl uns Hassan, der Torjäger.
„Nichts leichter als das!“ riefen wir, gingen in die nächste Kneipe und besoffen uns.