www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

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Gefährdungsgefährt

„Ein Auto, das nicht fährt, das ist sein Geld nicht wert,“ hieß es mal. Nur wenige Menschen haben sich hingegen bislang mit der Frage befasst, was geschieht, wenn ein Auto nur noch fährt. Ich habe mich auch nicht um die Beantwortung dieser Frage gerissen. Aber neulich bin ich an ein Auto geraten, da kam ich nicht mehr darum herum.
Als Öko-Fundi ohne eigenen motorisierten Fahruntersatz kommt man autotechnisch in den Genuss einer großen Bandbreite, leiht sich hier mal eines und schnorrt sich dort mal durch. Irgendwie hatte ich dann eines Tages plötzlich den roten Kadett unterm Hintern, mit dem ich meine Freundin am Bahnhof abholen wollte. Da meiner Freundins Schwester eine nähere Beziehung zu dem Wagen besaß, hatte sie mir noch den Rat gegeben: „Halte ja nicht an! Der Motor geht sonst aus und bleibt es auch!“
Ich hörte natürlich auf sie, fuhr an die erste Rechts-vor-links-Stelle heran, ließ vorschriftsmäßige Vorsicht walten, um mögliche Vorfahrt zu gewähren, und ehe ich mich versah, machte das Auto „Blubb“ und stand. Ziemlich ruhig. Und wollte sich auch nicht mehr bewegen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Karren unter starker Mithilfe der ganzen Straße (ich meine die Leute, die dort wohnen) den nächsten Hang hinuntergeschubst wurde, um wieder Zutrauen zu seiner Motorkraft zu gewinnen. Es gelang! Beim zweiten Versuch wählten wir statt der Kuhweide einen Hang mit Straße, so dass ich schon bald meine Fahrt fortsetzen konnte.
Ich schwor mir nun, auf jedes weitere Anhalten konsequent zu verzichten.
An der nächsten Rechts-vor-links-Stelle verwechselte ich mutwillig rechten und linken Daumen, und als ich merkte, dass der Daimler (Daimler!) großzügig bremste, gewann ich verhängnisvolles Zutrauen in meine Fahrweise. Ich brauste mit Augen zu und durch über die nächste Kreuzung und erreichte schon bald die Hauptstraße. Zum Nachdenken blieb nicht viel Zeit! Also zischte ich über die rote Ampel, genauer gesagt links an ihr vorbei, und ordnete mich rasant in den fließenden Verkehr ein.
Ich war nun in Gefilden mit höherer Verkehrsdichte, was mein Vorhaben nicht gerade vereinfachte. Gefangen in der Kolonne war ich nun der viel zu angepassten Fahrweise der ganzen Auto-Liebhaber und ADAC-Mitglieder um mich herum ausgeliefert. Was, wenn ich einen Stau geriet? Und eben da geschah es! Eine weitere rote Ampel! Alle vor mir hielten an, rechts eine Böschung, links Gegenverkehr – ich war verloren! Widerstrebend drückte ich das Bremspedal, doch just in dem Moment, in dem ich den Fuß vom Gas nahm, fing der Motor an zu stottern. Ich musste schleunigst umdenken, haute den linken Fuß auf die Kupplung und den rechten quer über das Brems- und das Gaspedal. Laut röhrend kam ich rechtzeitig zum stehen. Welch Erleichterung! Handbremse rein. Jetzt konnte ich mich wieder ganz aufs Gasgeben konzentrieren. Wie der schlimmste Pröll stand ich in der Schlange, ließ gezwungenermaßen den Motor aufheulen, so dass die anderen Fahrer schon böse guckten, bekam fast Verständnis für die Motorradfahrer dieser Welt – ich wusste ja nicht, dass die alle von Opel sind –, als es endlich weiter ging. Um einer ähnlichen Gefahrensituation von nun an aus dem Weg zu gehen, wollte ich mir mehr Freiraum verschaffen, und zog nach links hinaus. Der geneigte Leser sowie alle entgegenkommenden Fahrzeuge mögen schockiert sein, doch was sollte ich anderes machen? Und mit der Zeit hatte ich beinahe eine Art Routine darin, mich im Slalomstil durch die Autoschlangen zu mogeln. Nein, mogeln trifft es nicht ganz, das klingt zu langsam. Sagen wir: Wie die Seizinger im Super-G durch die Tore aus rollendem Stahl zu schießen.
Zum ersten Mal in meinem Leben sehnte ich mich nach einer Autobahn. Leider war der Bahnhof über die Autobahn nur unzureichend erschlossen, so dass ich gezwungen war, meine Super-G-Strecke, also die Bundesstraße, wieder zu verlassen. Doch wie ich nach rechts abbiegen wollte, eigentlich eine meiner leichteren Übungen, sah ich, wie urplötzlich ein Traktor aus einem Feldweg kroch. Geistesgegenwärtig riss ich das Lenkrad nach links und raste in einen Wanderparkplatz hinein. Dort drehte ich mit quietschenden Reifen einige Runden, bis die Luft wieder rein war und brauste dann in herrlich gerader Richtung über die Bundesstraße hinweg in die Straße hinein, die mich zum Bahnhof bringen sollte.
Sollte. Denn ich war als gelernter Bahnfahrer zwar immun gegen Verspätungen, aber überhaupt nicht gefasst auf Baustellen jeder Art. Kurz vor dem Ortseingang jedoch verengte sich überraschend die Fahrbahn. Mein Fuß war bereits auf dem Gaspedal festgewachsen, so dass ich mit dieser unerwarteten Situation nicht umzugehen wusste. Ich blieb stur meiner Fahrbahn treu und sprengte die freiheitsraubenden rot-weißen Baken kurzerhand zur Seite. Nun hatte ich auf meiner Spur allen Platz der Welt. Am Ende der Baustelle aber kamen die Baken wieder. Ich hielt das Steuer gerade und auf den Feind zu. Es krachte, die Bake flog, und im Rückspiegel sah ich noch, als er gerade zu Boden fiel, wie die Bake einen Radfahrer streifte, so dass er das selbe tat. Nun bin ich ja eigentlich ein Radfahrer-Fan. Also wollte ich nicht mit aller Gewalt den Fahrerflüchtigen raushängen, wendete als zügig, indem ich einmal um den nächsten Block heizte, raste zurück zu dem am Boden liegenden Radler und rief im Vorbeifahren hinaus: „Sind sie verletzt?“
Die Antwort hatte ich leider nicht abwarten können. Auch beim zweiten Mal konnte ich sie nicht recht verstehen. Im vierten Anlauf hatte ich dann das Gefühl, ein mattes „Ja“ ausmachen zu können, so dass ich extra erneut wendete, um ihm ein aufmunterndes „Ich hole Hilfe“ zuzubrüllen.
Glücklicherweise bin ich ja gegen Verspätungen immun, wie erwähnt, ließ meine Freundin also noch ein wenig warten, um zunächst noch einen Abstecher zum Krankenhaus einzulegen. Die Sanitäter dort wirkten allerdings ähnlich träge wie die Service-Leute der Bahn. Obwohl ich laut hupend in der Zufahrt-Schleife meine Runden drehte, dauerte es eine Ewigkeit, bis jemand angelaufen kam. Und dann musste ich der Empfangsdame erst noch klar machen, dass ich einen Sanitäter brauchte. Mir war schon ganz schwindelig. Den Sanitätern dann wiederum musste ich erklären, dass nicht ich das Problem war, sondern dass dies an der Baustelle am Ortsausgang lag. Also, nicht nur das Problem, sondern auch der ehemalige Radfahrer. Kopfschüttelnd gingen die Sanitäter an die Arbeit, und ich hetzte mit gutem Gewissen und heißen Reifen weiter zum Bahnhof. Meine Freundin, sehr gut mit dem Wagen vertraut, sprang in geübter Manier und in voller Fahrt aufs Dach und kletterte von dort aus gekonnt übers Schiebedach ins Auto.
Dann das Ganze wieder zurück, bis der Wagen friedlich in der Garage stand. Wir hatten ein wundervolles Wochenende. Noch Fragen?