www.albrecht-reuss.de | Stand: 16.10.2011 | Impressum

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Das Generationenhaus

Wir hatten einen Traum. Leben und Wohnen sollte mehr sein als einfach nur vier Wände um einen herum und ein Dach über dem Kopf. Und es wurde mehr. Mehr, anders, und irgendwie kompliziert.
Es begann gleich nach dem Abi. Alle gingen studieren und zogen in eine WG, und wir – ein paar eingefleischte Freunde, heute würde man sagen Weltverbesserer – setzten uns erst mal zusammen und sagte: Eine normale WG reicht uns nicht. Wir wollen in einer richtigten Gemeinschaft wohnen, ja, ein Studi-Haus sollte es sein. Wo genau der Unterschied lag, wussten wir zwar am Anfang noch selbst nicht so genau, aber nach zahllosen feucht-fröhlichen Sitzungsabenden zur Erörterung der Frage wussten wir jedenfalls mehr über die Realisierungschancen unseres Traums. Aufrgund der räumlichen Zersträuung nach den Studienabschlüssen der ersten Beteiligten zerschlug er sich. Erstmal.
Aber eine Utopie ist eine Utopie ist eine Utopie, und so ließen wir nicht locker. Wir fanden die Idee eines „Jung-und-Kinderlos-Ökodorfes“ so faszinierend, dass wir weiterhin nach Mitstreitern suchten, bald welche fanden, und in abendfüllenden Veranstaltungen unser Konzept vertieften. Freilich standen wir vor einem Berg von Problemen, und insbesondere die Grundstücksfrage verschlang Jahre. Als wir fast so weit waren, einen Knopf an die Sache zu machen, war ein anderer Käufer schneller und baute statt einem Ökoparadies einen Supermarkt.
Doch die Idee war nicht totzukriegen. Ein „Wohnhof für junge Familien“, diese Idee trug uns weiter, auch wenn die Protagonisten immer wieder wechselten und bestimmte Wiederholungsschlaufen in den Abstimmungsprozessen nicht ausbleiben konnten. Tage, Tage und Nächte saßen wir beim Architekten und planten den Wohnhof, während unsere Kinder auf dem Boden plärrten oder, wenig später, mit ihren Freunden und Mofas um die Häuser zogen, und kamen dem großen Traum immer näher. Schon waren die Verträge mit dem Bauträger unterschrieben, da ging dieser Pleite und wir standen wieder mit leeren Händen da.
Wieder gingen wir einige Schritte zurück, suchten neue Mitstreiter und bewarben auch über die örtlichen Medien intensiv unser Projekt „Wohnen 50plus“. Endlich musste sich ja einmal einer den „Midages“ annehmen, deren Kinder aus dem Haus waren und die dennoch ein Leben mit Anschluss an eine häusliche Gemeinschaft suchten.
Und was soll ich sagen: Die Idee kam an! Wir konnten uns vor Zulauf kaum retten, was wiederum die Koordination nicht gerade vereinfachte. Einen Bauträger wollten wir nicht mehr haben, aber die sogenannte freie Baugruppe war auch nicht gerade einfach zu managen. Als wir unzählige Sitzungen später, bei denen es glücklicherweise stets ein oder zwei Bierchen und auch mal ein gutes Gläschen Most gab, ein tragfähiges Konzept hatten, musste nur noch die Finanzierung bei den einzelnen Beteiligten klappen, und schon konnte es los gehen!
Klappte nicht, und ging auch nichts los.
Vielleicht liegt es auch am Titel, dass es nicht läuft, dachten wir, und nannten uns fortan, man muss die Dinge ja beim Namen nennen, „Wohnhof für junge Alte.“
Wir planten weiter und kamen immer wieder an den Punkt, an dem es ernst werden sollte, und immer wieder sprangen wichtige Partner ab, weil sie es nicht bezahlt bekamen, oder – und das leider vermehrt – weil ihr Gesundheitszustand sich verschlechterte und sie eine Wohnform mit Betreuung anstrebten.
Warum eigentlich nicht? dachten wir, weil wir für moderne Konzept-Veränderungen stets zugänglich waren, und arbeitet unser Konzept „Betreutes Gemeinschaftswohnen“ weiter aus. Es lief ganz gut, doch wir mussten feststellen, dass die Sitzungen mit der Zeit immer weniger effektiv waren, weil Dinge zwei-, drei- oder viermal besprochen werden mussten, bis sie von allen verstanden wurden. Nun, die Einrichtung einer „Demenz-WG“ war eben eine komplizierte Sache, die Aufmerksamkeit der Sitzungsteilnehmer lies weiter nach, und im Gegenzug nahmen die Fehlzeiten ständig zu. Nun, wir haben schon viele Hürden genommen, sagten wir uns jeden Abend und hielten weiter an unserer großen Vision einer „Pflege-Hausgemeinschaft“ fest, für die wir nun schon beinahe ein Leben lang gekämpft hatten.
Aber so richtig ging es auch mit unserer „Hospiz-Wohngruppe“ nicht voran, und ganz ehrlich, so langsam frage ich mich, ob das noch was wird mit dem gemeinschaftlichen Leben und Wohnen. Aber wir hatten einen Traum. Und wer hat das schon!