www.albrecht-reuss.de | Stand: 23.04.2017 | Impressum

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Gesundheit

Krankheit ist die Abwesenheit von Gesundheit. In meinem Fall jedoch war es die Abwesenheit von Verstand.
Nach den Wirrungen der letzten Tage grübelte ich viel und schlief entsprechend lange und nahm ganz nebenbei drei Kilo ab.
»Du siehst schmal aus. Geht’s dir nicht gut?« empfing mich meine Frau am Frühstückstisch.
»Ich habe abgenommen. Das finde ich eigentlich gut.«
»Ach was! Bestimmt bist du krank.«
Ich tat ihr den Gefallen und übergab mich und verschwand ins Bett. Am Mittag rief mein Verleger an.
»Ja, ich bin ein wenig krank«, sagte ich, »aber ich bin schon auf dem Weg der Besserung.«
Gegen Abend wollte ich mich an den Rechner setzen und noch ein paar Zeilen schreiben.
»Wie kannst du das tun in deinem Zustand?« warnte meine Frau.
»Wieso? Ich fühle mich gut.«
»Das kommt nicht in Frage! Leg dich hin und erhole dich! Es ist ja auch kein Wunder, dass du krank wirst – bei dem Druck, dem dich dein Verleger ständig aussetzt!«
»Ich habe keinen Druck.«
»Keine Widerrede! Kranke reden manchmal wirr.«
Ich trollte mich, legte mich ins Bett und wurde krank.
»Bald bin ich wieder«, tröstete ich meinen Auftraggeber, und auch der Arzt fand nichts wirklich Bedrohliches.
»Wir wechseln den Arzt!« bestimmte daraufhin meine Frau, und beim nächsten Arztbesuch gab ich mir schon deutlich größere Mühe krank zu sein.
Der Arzt definierte mich als kerngesund.
»Wissen Sie«, holte meine Frau aus, »wissen Sie eigentlich, was mein Mann durchmacht? Tag und Nacht arbeitet eher ununterbrochen, von seinem Hungerlohn kann er sich seit Jahren keinen Urlaub mehr leisten, und zum Dank lehnt der Verleger ein Buch nach dem anderen kaltlächelnd ab. Da ist es doch kein Wunder, dass mein Mann ein Magengeschwür bekommt!«
»Ihr Mann hat kein Magengeschwür.«
»Schauen Sie nochmal nach!«
Ich tat meiner Frau den Gefallen und bekam ein Magengeschwür.
Doch dadurch steigerte sich nur ihr Misstrauen gegenüber der Medizin.
»Stellen Sie sich vor: der Arzt hat nicht einmal das Magengeschwür auf Anhieb entdeckt! Bestimmt hat mein Mann auch noch Tinnitus, ohne dass es einer merkt!«
Dies sagte sie so dem nächsten Arzt. Und damit der sich nicht ebenso blamierte, bekam ich dieses Mal direkt die vorgeschlagene Krankheit.
»Oh ja«, sagte der Arzt besorgt, »Ihr Mann muss dringend zur Kur!«
Ich ging zur Kur und schrieb allen meinen Freunden lange Briefe, in denen ich versicherte, es ginge mir bald besser, und sie müssten sich nicht um mich sorgen.
Topfit kehrte ich nach Hause zurück und wollte mich in die Arbeit stürzen. Doch mein Schreibtisch war abgebaut.
»Ich hab viel darüber nachgedacht«, sagte meine Frau, »und bin zu dem Schluss gelangt, dass dein Verleger, dieser Unmensch, an allem Schuld hat. Würde der dich nicht permanent so fertig machen, es ginge dir heute wesentlich besser.«
»Aber es geht mir blendend!«
»Ruiniert hat er uns! Keine Bücher, keine Einnahmen, kein Urlaub, keine Erholung. Das ist doch kein Leben.«
»Geht es dir etwa nicht gut?«
»Doch, doch, mir schon. Aber ob du, mein Schatz, jemals wieder gesund werden wirst?«
»Ich bin kerngesund!«
»Ach, da täuscht man sich oft.«
Aus lauter Mitleid gönnte ich mir noch einen letzten Rückfall, aber mir war bewusst, dass es so nicht weitergehen konnte. Nach zwei, drei Nächten hatte ich den rettenden Einfall.
»Frauke«, sagte ich, »du musst jetzt sehr tapfer sein. Der Arzt hat eine chronische Krankheit festgestellt, so wie du es immer vermutet hattest. Es ist eine seltene und hochgefährliche Wasserallergie, so dass ich nie mehr werde den Abwasch machen können.« Ich schluchzte.
»Na, wenn das alles ist, werden wir das schon hinkriegen«, sprach sie mir zu. »Wenn dir sonst nichts fehlt, können wir damit leben.«
Jetzt lebte und arbeitete ich wieder normal und wusste fortan: Gesundheit ist die Abwesenheit von Abwasch.