www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Freizeitgesellschaft bedeutet, daß am Wochenende
alle, die nicht mit einer Erkältung das Bett hüten müssen,
sich aufmachen, um in einem der Spaßbäder Unterhaltung zu suchen.
Um diesem Massentrip zu entgehen, dachten sich drei Freundinnen und ich
etwas ganz besonderes aus: Wir gingen schwimmen.
Daß diese Bezeichnung irreführend ist, wird
sich im Verlaufe dieses Berichts zeigen. Zunächst begann alles ganz
harmlos, und wir fanden schon in 2,8 Kilometer Entfernung zum „Bad Blau“
einen Parkplatz. Auch das Anstehen an der Kasse war nur eine Sache von
dreieinhalb Stunden (vier Stunden für ermäßigte Karten),
so daß wir eigentlich frohgemut den Umkleidebereich des Schwimmbades
betraten.
Der war auf angenehme 42 Grad Celcius beheizt, was bei
uns den Drang nach einer Umkleidekabine leicht verstärkte. Da allerdings
lag der Haken. Umkleidekabinen konnten wir nicht finden, denn alles, was
wir sahen, waren Köpfe von Menschen, die Umkleidekabinen suchten.
Die Richtung der Kabinen konnten wir nur erahnen. Sie mußten dort
liegen, wohin sich der Troß alle Viertelstunde drei Zentimeter entgegenbewegte.
Doch es gab auch schon Badegäste, die eine Umkleidekabine
gefunden hatten. In der Ferne konnte man folgenden Dialog vernehmen:
„Ich muß mal, Mama.“
„Nicht jetzt, mein Kind!“
„Ich muß aber!“
„Jetzt zieh Dich erstmal um, danach sehen wir weiter.“
„Ich muß aber wirklich!“
„Weißt Du, man muß heute froh sein, wenn
man eine Umkleidekabine hat.“
„Es ist aber wirklich ganz dringend!“
„Na gut, dann suchen wir eben eine Toilette...“
„Nein, jetzt ist es schon zu spät.“
Mit einem Mal begannen alle Köpfe, schreckhaft aufzuschreien,
und ein klein wenig Platz tat sich doch auf, weil sich ein Teil der potentiellen
Schwimmer auf Hocker rettete und ein Teil sich ein anderes Wochenendprogramm
überlegte, während die ganz Harten die allgemeine Verwirrung
zum entscheidenden Schlag im Kampf um eine Kabine nutzten.
So auch wir.
Die nächste Schlange an den Schließfächern.
Schließt man eben nichts weg.
Die nächste Schlange an den Duschen. Duscht man
eben nicht.
Im Innenraum des Bades bot sich uns ein vertrautes Bild:
Köpfe. Susanne meinte, das Außenbecken müsse irgendwo links
hinten sein. Da wollten wir hin, da man nicht zum Leistungsschwimmen nicht
Spaßbad geht (damit das große Becken ohne Belang war), das
Klima in der Halle einen Gang in die Dampfgrotte überflüssig
machte und alle anderen Attraktionen wegen Überfüllung geschlossen
waren.
Also bewegten wir uns millimeterweise nach links hinten.
Wir schöpften Mut, als wir bereits nach wenigen Stunden einen Wegzeiger
passierten: „Außenbecken 33 m“
Da plötzlich verschwand der Boden unter meinen Füßen.
Ich war im Wasser! Allerdings im Kinderbecken. Auch Sonja, Mone und Susanne
hatte dieses Schicksal ereilt. Schicksal deshalb, weil alle anderen, die
es in dieses Becken verschlagen hatte, offensichtlich versuchten, ihr Schwimmpensum
hier zu absolvieren. So konnte ich bereits nach 30 Sekunden zwei Fußhiebe
in den Magen und einen in den Unterleib, sowie drei Armschläge auf
den Hintern und einen festen ins Kreuz verzeichnen. Als ich dann noch bemerkte,
wie sich der verunglückte Armzug eines Fremden in Sonjas Badeanzugträger
verfing, brach der männliche Beschützerinstinkt in mir los. Ich
stürzte mich ins Gemenge, strampelte und fuchtelte, trat und schlug
nur so um mich, aber zu dem Fremden konnte ich nicht vordringen. Der Bademeister
zog mich heraus.
Immerhin war ich zu diesem Zeitpunkt bereits 0:37 Minuten
im Wasser gewesen. Nach dem Kinderbecken testeten wir noch das Solebecken
(0:23 Minuten), das Spaßbecken – im speziellen den Rutschenauslauf
(0:02 Minuten und Schleudertrauma) und schließlich sogar zur Krönung
noch das ersehnte Außenbecken (ca. 480 Minuten, wobei eine Einschränkung
darin bestand, daß das Becken bereits abgedeckt war, da das Bad inzwischen
geschlossen hatte.).
Im Morgengrauen zogen wir uns bequem um und verließen
das Bad, als die ersten Badegäste wieder kamen. Die Nachzahlgebühr
war beträchtlich.
Da wir insgesamt trotz allem nur 1:02 Minuten im Wasser
waren (entspricht 0,001 Prozent), ist die oben angeführte Formulierung
„Schwimmen gehen“ unsachgemäß.
Aufgrund dieser Erfahrungen und nicht unwesentlicher
Nachwirkungen durch kleinere bis mittlere Verletzungen sowie einer schweren
Grippe durch die im Freien verbrachte Nacht beschlossen wir, derart stressige
Wochenendtouren künftig zu unterlassen und nächstes Mal etwas
wirklich ganz anderes zu machen: Schwimmen zu gehen.