www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum

   zurück   

Immer freundlichere Bahn

Alles Lüge, was ich bislang über die Eisenbahn geschrieben habe. Schimpf und Schande über mich, der ich ein miesepetriger, nörglerischer Schwarzseher bin. Im Grunde genommen ist die Eisenbahn doch ein Service orientiertes, modernes Unternehmen. Ich ließ es bei der letzten Heimfahrt darauf ankommen und musste verblüfft zugeben, dass der Service bei der Eisenbahn seinen Namen tatsächlich verdient. Dazu sind nur zwei winzige Voraussetzungen seitens des Kunden von Nöten: Man muss viel Geld haben und darf keine Ahnung haben.
An jenem Weihnachts-Heimfahr-Samstag gab ich mich als flexibler Normal-Reisender aus und betrat ohne vorhergehende Internetrecherche das Reisezentrum, die Geldbörse in der Jackentasche, den Rucksack, wie der Name schon sagt, auf dem Rücken, und in weihnachtlicher Vorfreude versöhnliche Gedanken im Kopf. Ich verzeichnete das neue Alle-stellen-sich-in-einer-Schlange-an-Prinzip des Dortmunder Hauptbahnhofs als ersten klaren Pluspunkt. Der Vorteil ist die Gerechtigkeit, der Nachteil ist, dass man sich nicht aussuchen kann, an welchen Schalter man möchte, sprich, zu welcher Dame oder welchem Herren man sich am ehesten im Stande sieht, einen Funken Vertrauen aufzubauen.
Ich erwischte eine Dame, zu der ich aufgrund ihres Unschuldsengelslächelns auf Anhieb ein solches Vertrauen aufbaute, dass ich ihr alles abgekauft hätte, so ich Besitzer des nötigen Kleingeldes gewesen wäre. Nun, das Gespräch verlief eigentlich darauf hinaus.
Mit ein, zwei Tippern auf der Tastatur zauberte sie mir eine Verbindung samt Reservierung samt Fahrkarte samt Reiseversicherung, Nichtraucher, Fenster, Tisch, Fahrtrichtung, hätte ich es gewünscht, sicher auch Einzelzimmer Vollpension mit Poolbar, doch ich wünschte es nicht, ich kam auch gar nicht zu Wort, nicht einmal das Fahrtziel musste ich nennen, es ging alles wie von alleine, einen Service nenne ich das! Augenblicke später hielt ich alles in der Hand und hatte dank EC-Karte nicht einmal das Gefühl, Geld dafür ausgegeben zu haben. War wohl auch besser so. Denn für den wundervollen Vorweihnachtsservice hatte ich es nichtsahnend in Kauf genommen, dass Bahncard und Semesterticket im Preis unberücksichtigt blieben. Die läppischen 100 Märklein, dachte ich, kriege ich unterm Weihnachtsbaum locker wieder rein. Außerdem: Service hat seinen Preis. Ich hätte ja auch was sagen können. Oder nächtelang vorrecherchieren, wie sonst immer. Wollte ich aber nicht. Also durfte ich nicht mosern. Außerdem hätte das meine versöhnlichen Gedanken gefährdet.
Da die Welt eine gerechte ist und versöhnliche Gedanken belohnt, hatte ich eine entspannte Heimfahrt, in der die mir ausgedruckte Verbindung fünf Minuten lang eingehalten wurde, bevor die S-Bahn kaputt ging, meine Reservierung für die Katz war, ich aber dennoch nicht stehen musste, da ab Duisburg kein Zug mehr fuhr, ich aber dennoch gut mit dem Taxi nach Duisburg-Wedau kam aufgrund meiner eigens abgeschlossenen Reiseversicherung, von wo aus mich meine Mama dann abholte. Summa summarum ergab das ein Zehntel der Strecke zum doppelten Preis.
Schön, dass der Service stimmt, dachte ich.
Doch meine gute Laune verflog, als ich im Nachhinein aufgrund übergroßer Weihnachtslangeweile doch nochmal selbst nachschaute, ob die mir zugedachte Verbindung tatsächlich die schnellste gewesen wäre, hätte sie denn funktioniert. Und ich stellte fest: Nein! War sie nicht! Unschuldengelslächelndame hatte mir ungefragt und inkompetent ein Rentner-Verbindung auferlegt. Für Leute, die sich nicht vor dem Umsteigen fürchten, hätte es nämlich auch eine Verbindung gegeben über Dortmund-Oespel mit dem Bus, dann mit der einer Museums-S-Bahn nach Westen, die nur an Weihnachten fährt, da sie zur innerbetrieblichen Weihnachtsfeier der Stahlwerke nach Duisburg-Ruhrort gebracht werden muss, was den Vorteil hat, dass man den Nachtzug aus Amsterdam noch erreicht, falls die Rheinfähre pünktlich ist, dann mit diesem bis Köln, dort flugs mit der Straßenbahn nach Deutz zurück, kurzer Fußweg nach Köln-Deutz-Süd, wo der Alpen-Express-Sonderzug wartet, mit dem man bequem und ohne Zwischenhalt in den Süden rauschen kann, weshalb man in Rottweil und dann in Tuttlingen eine Bahn erwischt, die einen tatsächlich etwas früher am Blaubeurer Weihnachtsbraten schnuppern lässt. Wie viel das ausmacht? Nun, nicht gerade viel. Man kommt praktisch zeitgleich in Blaubeuren an, aber der Zug aus Tuttlingen hält an Bahnsteig 1 und der andere hielte an Bahnsteig 2, so dass man auf dem Weg zum Auto locker fünf Sekunden sparen kann.
Nein, ich behaupte nicht, dass diese Verbindung auf alle Fälle bequemer gewesen wäre. Aber man hätte mich ja wenigstens mal fragen können.
Wie dem auch sei, die wahre der Zukunft der Bahn liegt ohnehin im fahrplanlosen Reisen und macht derlei Diskussionen zur Makulatur. Zur Rückfahrt trat ich ganz ohne Plan an, erwischte in Ulm einen verspäteten Interregio, der mich in Stuttgart gerade noch einen ICE bekommen ließ, den ich sonst nie erreicht hätte und mich so alles in allem sicher und schnell in Dortmund ablieferte. Unglaublich: Ich hatte sogar Verfrühung!
Diesen Service aber lässt sich die Bahn leider teuer bezahlen: Aufgrund der Öffnungszeitenreduktion des Blaubeurer Bahnhofs, der mangelnden Ortskenntnis des Automaten, der veralteten Jeder-stellt-sich-an-wo-er-denkt-dass-es-am-schnellsten-geht-Technik im Ulmer Reisezentrum (Pluspunkt wieder abgezogen) und einem kurzsichtigen Schaffner im ICE hielt ich plötzlich einen Fahrschein in der Hand, der mich erster Klasse ICE nach Dortmund gebracht hätte. Schade, dass ab Mannheim keine fahren. Aber sicher meinte es der Schaffner nur gut mit mir. Das nenne ich Service!
Und nebenbei: Vierfacher Preis, aber komplette Strecke! Besser als auf der Hinfahrt. Das wird noch, liebe Eisenbahn.