www.albrecht-reuss.de | Stand: 08.12.2008 | Impressum
Wir haben jetzt auch ein Asylbewerberinnen- und Asylbewerberheim
im Ort. In anderen Orten denken da gleich alle an Drogen, Mord und Prostitution.
Bei uns hingegen meinen Sie es hoffentlich nicht so.
Der Winter fiel dieses Jahr auf den 5. Februar, es schneite
satte fünf Zentimeter Matsch auf die Straßen, und Frau Weiß
wurde einmal mehr die skrupellose Schmarotzermentalität (so würde
sie es natürlich nie sagen) der neuen Gäste im Ort bewußt.
„Also, ich verstehe ja, daß wir diese Asylanten
aufnehmen müssen,“ verbreitete sie, „aber sie soll doch wenigstens
einen kleinen Funken Dankbarkeit zeigen und sich nützlich machen in
der Stadt, erst gestern, als es schneite, was mußte ich sehen? Kein
einziger Asylant kam und bot mir seine Hilfe beim Schneeschippen an!“
Nein, so ein Unding! mußte ich ihr denkend beipflichten,
besuchte auf der Stelle meinen neuen Freund Bora und hielt ihn an, am nächsten
Morgen doch zu Weißens zum Schneeschippen zu gehen.
Bora klingelte morgens um Neun, Frau Weiß öffnete
und floh beim Anblick des jungen Bosniers sogleich in den Keller, um sich
und ihre Einmachgläser zu schützen, und erzählte, nachdem
sie sich erholt hatte: „Also, ich hab ja ehrlich nichts gegen diese Leute,
aber sie sind einfach so aufdringlich! Klingeln mitten in der Nacht und
betteln um Arbeit! Muß denen langweilig sein! Aber sie könnten
doch wenigstens vorher anrufen!“
Da ich meine Ohren überall im Städtchen verstreut
hatte, erfuhr auch Bora bald von den Ansprüchen der Bevölkerung,
wollte aber beweisen, daß er willig war zur Integration, wie die
Politiker diese Mut- und Nervenproben immer nennen, und rief, kurz und
gut, am Abend an und bot freundlich seine Hilfe an.
Frau Weiß war angetan, ließ ihn am anderen
Morgen um neun Uhr kommen, um den neu gefallenen Matsch zu beseitigen.
Zwei Minuten später hatte sie ihn davongejagt und erklärte auf
dem Wochenmarkt: „Ich will ja echt nichts sagen, aber kommt dieser Asylant
doch tatsächlich ohne Schneeschaufel an! Wollte meine benutzen! Wo
kämen wir denn da hin? Am Ende nimmt er sie noch mit in sein Heim!
Man weiß ja nie!“
Also borgte ich Bora meine Schippe, weil er sich ja nach
„Asylbewerberleistungsgesetz“ (Leistungs-!!) nur wichtige Dinge leisten
darf. Bora rief am Abend wieder artig an, ging am Morgen vorbei, schippte,
und sagte mutig zu Frau Weiß: „Wir dürfen zu gemeinnütziger
Arbeit herangezogen werden, bekommen aber einen Stundenlohn von drei Mark
dafür, was in diesem konkreten Fall für eine Viertelstunde 75
Pfennige wären.“
Da plusterte sich Frau Weiß aber auf, so daß
es neben Bora auch gleich der restliche Ort mitbekam: „Schmarotzerpack!
Abzocker, elendige! Wer hat denn von euch verlangt, mich morgens zu wecken,
um hier Schnee zu schippen? Wer hat denn von euch verlangt, hier her zu
kommen und auf unsere Kosten zu leben? Hab ich mir doch gleich gedacht,
daß in Euch nicht ein Funken Anstand steckt!“
Bora schluckte, sagte nichts, sondern übte sich
weiter in Integration, rief erneut an, kam morgens wieder, schippte Matsch,
bedankte sich dafür, Schnee geschippt haben zu dürfen, erntete
so etwas ähnliches wie einen freundlichen Blick dafür, ging zufrieden
in sein Heim zurück und fühlte sich schon wie ein halber Deutscher.
Frau Weiß aber lief ganz bleich an, weil sie das
nicht zu erklären vermochte, stürzte sich jedoch schon bald darauf
unters Volk und sagte: „Also, also, das ist ganz schrecklich mit diesen
Asylanten. Die lassen sich ja so ausnützen! Drängen sich auf
und wollen dann nicht mal ein Trinkgeld für ihre Arbeit! Ich verstehe
diese Leute nicht. Kein Wunder, daß die Zuhause nichts auf die Reihe
kriegen.“
Natürlich bekam das auch Bora mit, der sich somit
ganz und gar nicht mehr als halber Deutscher fühlen durfte. Zu einem
guten Deutschen, da fehlte ihm ja ohnehin die Offenheit, Herzlichkeit und
Aufrichtigkeit einer verständnisvollen Frau wie etwa Frau Weiß.