www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Eigentlich erhoffte ich mir von meiner weihnachtlichen
Bahnheimfahrt genug Satirenstoff für das Jahr 1999. Ich bin dann leider
mit dem Auto mitgenommen worden. So wurde es nur eine.
„Wir sind dann so gegen 15 Uhr 30 da,“ sagte ich meiner
Mama vor der Abfahrt von Dortmund ins tiefschwäbische Blaubeuren.
Diese punktgenaue Aussage konnte ich treffen, weil ich dieses Mal nicht
mit dem Zug unterwegs war, denn ein Freund aus Münster nahm mich in
seinem blauen Fiesta mit.
Vor der Fahrt bekam ich einige Hinweise: „Die Fahrertür
geht nicht auf, denn der Griff ist abgefallen. Das Radio geht nicht, denn
die Batterie war abgeklemmt, und der Entsicherungscode wurde vermutlich
inzwischen zu Klopapier recycelt. Und berühre unter keinen Umständen
den Rückspiegel! Er ist nur festgeklebt.“
Gut, sind ja alles nur kosmetische Äußerlichkeiten,
kein Problem also, denke ich, lasse meinen Freund einsteigen und über
die Gangschaltung klettern, ehe ich mich gemütlich neben ihn setze
und einer gemütlichen Reise entgegenblicke.
Sie wird sehr, sehr gemütlich. Mit 80 Sachen stehen
wir über die Autobahn, Radio gibt es keines, unterhalten können
wir uns nicht, weil im Fußball gerade Winterpause ist, und ich muß
immer nur an meine Mama denken, die sicher jetzt schon bibbert, ob wir
heile ankommen, und wenn wir dann mangels Geschwindigkeit zehn Minuten
später – nicht auszudenken!
„Ach, im Handschuhfach liegt auch noch ein Radio!“, fällt
meinem Freund da ein. „Ich habe nur noch nie einen Sender reinbekommen.“
Nun, da habe ich wenigstens Unterhaltung. Nicht durch
Musik oder dergleichen, sondern dadurch, mittels meiner ausgefeilten technischen
Fähigkeiten das Radio zum Spielen anzuregen. Da es keine ausfahrbare
Antenne besitzt – es ist nämlich ein Duschradio, aus welchen Gründen
auch immer, das seinen Zweck darin hat, beim Duschen das Wasserplätschern
durch ein Sendersuchrau-schen zu übertönen, und einen dabei nicht
tötet – kann man nur das Radio als solches bewegen, und schon bald
stelle ich fest, daß sich die Intensität des Rauschens verändert,
je nach dem, in welche Richtung und in welcher Neigung ich es halte.
Darüber hinaus würden meine technischen Fähigkeiten ja auch
nicht reichen... – auf jeden Fall geschieht kurz vor Frankfurt Aufmunterndes,
als urplötzlich das Rauschen einem amerikanischen Geplapper weicht,
das von kurzen volkstümlichen Stücken unterbrochen wird. Besser
als nichts, denke ich und halte also tapfer meinen linken Arm ausgestreckt
nach hinten, um den Empfang nicht zu verlieren.
Hinter Frankfurt fällt mir mein Arm ab, und wir
beschließen, eine Pause zu machen.
Danach wird die seichte Autofahrt plötzlich bitterernst.
Ich bin dran mit Fahren! Ich steige über die Gangschaltung, zwänge
mich hinters Steuer, richte den Sitz ein, kontrolliere den Rückspiegel
und sehe nur die Handbremse. Ich will zugreifen und vernehme ein lautes
„Halt!“. Weil mich dennoch der Verkehr hinter mir mehr interessiert als
der Zustand der Handbremse, gehen wir nun so vor, daß mein Freund
den Spiegel gegen die Windschutzscheibe preßt und ich mit aller Vorsicht
versuche, das Gelenk zu bewegen. Mit Erfolg: Ich kann nun schon die Rückbank
erkennen. Um das Risiko gering zu halten, den Spiegel ganz zu verlieren,
drehe ich einfach meine Sitzlehne so lange nach hinten, bis im Spiegel
ein Spalt der Heckscheibe auftaucht, und beginne, mit ausgestreckten Armen
im Liegen zu fahren. Der Spiegel fällt dann in der ersten Kurve ab.
Nicht umsonst hat ein Auto drei Spiegel, wobei die beiden
verbliebenen nur geringe Wirkung haben, da sie abwechselnd beschlagen oder
vom Fahrtwind eingeklappt werden.
Keine Zeit indes für Zimperlichkeiten, schon genug
Zeit verschenkt, Mama hat doch Angst, wenn wir nicht pünktlich sind,
also Augen zu und durch! Ich trete das Gaspedal in die Fußmatte und
hole aus dem tapferen Kleinwagen das Letzte raus, so daß wir es bei
starkem Gefälle kurz vor Leonberg sogar schaffen, den Schwertransporter
vor uns zu überholen.
Im Vergleich zu einer Bahnfahrt also alles ein Kinderspiel,
wir kommen ohne besondere Vorkommnisse daheim an, zu erwähnen ist
vielleicht nur noch am Rande, daß Punkt 15 Uhr 30 eine Suchmeldung
durchs Radio rauscht, in der nach einem kleinen blauen Fiesta mit zwei
Studenten gefragt wird, die bitte zu Hause anrufen sollen, und als wir
um 15 Uhr 32 das Ortsschild Blaubeurens streifen, jagt uns eine Havarie
Notarztwagen und Polizeiautos entgegen mit unbestimmtem Ziel.
Ich falle meiner Mama um den Hals, als sie gerade mit
der Luftrettung telefoniert, sie ist ganz bleich und sagt: „Warum habt
ihr nicht angerufen? Es hätte alles mögliche sein können!
Im Radio kam andauernd, in Finnland habe es Glatteis!“