www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Weil man sich in dieser Welt gegen alles Erdenkliche versichern
kann, kann man sich auch gegen das Leben versichern. Das heißt dann
Lebensversicherung und versichert einen davor, am Leben zu bleiben. Da
aber, entgegen der allgemeinen Ansicht des Werbefernsehens, Versicherungen
nicht schützen sondern nur im Nachhinein den Schaden ausbügeln
(sollten), kommt es vor, daß man unglücklicherweise trotz Lebensversicherung
am Leben bleibt. Dann bekommt man als Schadensersatz nach zehn oder zwanzig
oder hundert Jahren wenigstens wieder einen Bruchteil von dem zurück,
was man zuvor an diese Versicherung abgestottert hat.
Klingt verlockend. Grund genug auf jeden Fall für
mich, auch eine derartige Versicherung abzuschließen. Und so sehe
ich mich schon bald einem netten Herrn im adretten Anzug bei einer Tasse
Kaffee gegenübersitzen und intime Fragen beantworten. Schließlich
will die Versicherung ja auch sicher sein, daß der Fall, den sie
einem eigentlich verspricht, nämlich das baldige Ableben, doch nicht
so schnell eintritt, da ja sonst die Beitragszahlungen aprupt auf ein Minimum
zurückgehen würden.
Ich erzähle also alles über meine gebrochenen
Beine, von meinen gelegentlichen Migräneanfällen, von meiner
Tollpatschigkeit. Doch das ist erst der Anfang.
„Ist es schon vorgekommen, daß Sie bei einem Spaziergang
tot umgefallen und nicht mehr zum Leben erwacht sind?“
„Moment. Da muß ich meine Mutter fragen.“
Ich frage.
„Nein.“
„Sehr gut. Sonst wären die Beiträge wohl etwas
höher ausgefallen. Dann nur noch eine letzte Frage: Sind Sie schon
einmal untersucht oder beraten worden?“
Untersucht? Beraten? Was für eine doofe Frage. Berufsberatung,
Studienberatung, Frisurberatung. Wollen die das alles wissen?
„Untersucht bin ich mal worden, bei der Musterung.“
„Oh. Dann müssen wir leider noch ein paar mehr Fragen
durchgehen.“
Er entschuldigt sich kurz, geht zu seinem Auto und kommt
mit fünf dicken Aktenordnern zurück. Nächste Frage.
„Wegen welcher Beschwerde wurden Sie untersucht oder
beraten?“
„Äh, ich war männlich, 18 Jahre.“
„Und wurden Sie geheilt?“
„Teils teils.“
„Genauer bitte.“
„Ich bin immer noch männlich, aber inzwischen 22
Jahre.“
Er notiert.
„Heilung nicht gänzlich erfolgt,“ sagt er dabei
leise. „Gut, dann müssen wir auch noch die Fragen 33 bis 2 345 621
b) beantworten. 2 345 621 c) und d) können wir wahrscheinlich weglassen.
So eng darf man das ja alles nicht sehen. Man muß sich ja auch vertrauen
können.“
Sentimentale Pause.
„Also weiter: Seit wann leiden sie an der Beschwerde?“
„Also männlich war ich wohl von Geburt an. 18 wurde
ich dann urplötzlich an meinem Geburtstag anno 1995. Aber davon wurde
ich ja, wie Sie sagen, geheilt.“
„Wie hoch hat der Arzt ihre Heilungschancen eingeschätzt?“
„Gering.“
„Das heißt, Ihre Beschwerde ist nicht heilbar?“
„Nein. Männlich sein endet in der Regel tödlich.
Der Arzt sagte, so ab 70 müsse man damit rechnen.“
„Ach Du meine Güte. Das tut mir aber leid. Nun ist
es natürlich so, daß unsere Versicherurng sich eines jeden Kunden
annimmt. Bei Ihnen könnte es allerdings sein, daß aufgrund ihrer,
verzeihen Sie meine Direktheit, tödlichen Krankheit die monatlichen
Beiträge um ungefähr, ich überschlage das kurz, 750 Prozent
steigen.“
„Nun, in diesem Fall möchte ich gerne von der Versicherung
zurücktreten.“
Daraufhin beginnt der Versicherungsvertreter schlagartig
zu heulen, schluchzt etwas von Provision und sieben Kindern und einer Versicherung,
die er bei seinem eigenen Haus abgeschlossen
habe und die ihn bis über beide Ohren in die Schulden
getrieben habe. Ich kann nicht anders als weich zu werden. Wenn man an
einer tödlichen Krankheit leidet, kommt es auf so was ja auch
nicht an. Wir einigen uns auf 700 Prozent, unter der
Bedingung, daß wir die Fragen 35 bis 2 345 621 weglassen. Mein Gegenüber
strahlt, ich unterschreibe und freue mich seit diesem Tag auf den Bruchteil
meiner Beiträge, den ich bekomme, so hat man mir erklärt, wenn
ich zehn Jahre nach meinem Tod einen entsprechenden Antrag stelle. So wolle
man sicher gehen, daß sich keine Versicherungsbetrüger an unser
aller Kapital ranmachen. Verstehe ich auch irgendwo.