www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Im fortgeschrittenen Studium kommt es immer häufiger
vor, dass wirklich wichtige Prüfungen anstehen. Auf wirklich wichtige
Prüfungen sollte man sich wirklich sorgfältig vorbereiten. Deshalb
bringen es diese wirklich wichtigen Prüfungen mit sich, dass man wochenlang
tagtäglich einzig und allein mit Lernen zu tun hat. Nun darf man sich
unter Lernen allerdings nicht nur das stumpfe Starren auf ein Bündel
von Aufschrieben vorstellen. Nein, das wahre Lernen besteht eher in der
Vorbereitung darauf.
Ein normaler Lerntag beginnt damit, dass ich mich im
Bett nochmal umdrehe. Kein Mensch käme auf die Idee, unausgeschlafen
an den Schreibtisch zu sitzen. Dann kann man es ja gleich sein lassen.
Denn Lernen besteht aus Aufnehmen, und Aufnehmen setzt Konzentation voraus,
also tut der lernende Student alles, was in seiner Macht steht, um seine
Konzentrationfähigkeit zu fördern. Dies, so sei betont, erfordert
eine unheimlich große Sanftmütigkeit gegen sich selbst.
Aus diesem Grunde fällt bereits die Morgentoilette
ausgiebiger aus als an lernfreien Tagen, das Frühstück ist üppiger,
die Brötchen sind frischer. Und es ist kaum zu glauben, was man an
Lerntagen so alles in der Zeitung entdecken kann! So dauert das Frühstück,
inklusive Brötchen holen, locker seine drei Stunden, doch das Gemüt
ist bei alledem sehr entspannt, nur zu gut weiß man, dass ein gewisser
Ausgleich zum trockenen Lernstoff nicht nur gut tut, sondern Not tut –
um der Konzentration wegen.
Dann der erste Versuch, sich an den Schreibtisch zu setzen.
Konzentrationstest. Negativ. Irgendetwas stimmt noch nicht. Da ist dieser
plötzliche Aktionstrieb wieder, gepaart mit leichter Nervosität
in der Magengegend, die sagen möchte: Nur noch drei Wochen!, die aber
gleichzeitig warnt: Übertreibe es nicht! Das schadet nur!
Ich kenne dieses Gefühl gut. Ich habe es jeden morgen.
Wer möchte bestreiten, dass ein solches Gefühl natürlich
der Konzentration äußerst abträglich ist. Also zielt mein
Lerneifer zunächst darauf, dieses Gefühl zu bekämpfen.
Ich versuche es mit Gitarre spielen. Es lenkt ab. Aber
es heilt nicht.
Abspülen führt zu einem anderen Gefühl,
einem euphorischen, weil die Wohnung nie so sauber ist wie zu Lernzeiten,
aber es kann das andere, nervöse Gefühl nicht aus der Welt schaffen.
Ich fürchte aber, wenn ich mich jetzt hinsetze und
lerne, dass ich aufgrund der zu überwindenen Nervosität derart
viel Konzentration aufbringen muss, dass sie gerademal fünf Minuten
reicht.
Das wäre unverantwortlich.
Vielleicht, fällt mir da wieder ein, hilft es ja,
für den Abend etwas Nettes zu planen, so dass man eine Sache hat,
auf die man sich freuen kann – wie soll man sich auch konzentrieren, wenn
das Ziel nur eine Prüfung ist und noch viele, wenn auch immer weniger
Wochen entfernt liegt. So viel Ausdauer bringt keiner auf. Also konzentriere
ich mich lieber deshalb, weil ich weiß, dass ich mich am Abend nicht
mehr konzentrieren muss.
Ich rufe einen Freund an, klage ihm mein Leid, dass es
mit dem Lernen nicht recht läuft, und verabrede mich auf den Abend.
Besser gelaunt, setze ich mich an den Schreibtisch, schaue
einen winzigen Augenblick auf den Einband des Buches, dann starre ich unvermittelt
aufs Fenster. Lieber hätte ich aus dem Fenster gestarrt, aber dazu
ist es zu dreckig. Wieder keine optimalen Bedingungen für die große
Leistung der völligen Konzentration.
Also geschwind das Fenster geputzt, im selben Aufwasch
auch noch das Bad und die Küche, das Fahrrad und die Wäsche,
und da ist es dann auch schon höchste Zeit zum Mittagessen. In Lernzeiten
koche ich selber. Das dauert etwas länger, aber eine Mittagspause
macht – wegen der Konzentrationsfähigkeit – allemal Sinn. Inklusive
Mittagsschläfchen.
Nch einem kurzen Gitarrenintermezzo scheitert mein zweiter
Versuch, das Buch aufzuschlagen, tragischerweise und unerwarteterweise
an meinem schlechten Timing. Denn in diesem Moment fällt mir ein,
dass die Wäsche fertig sein müsste.
Danach ist wie jeden Tag Teepause, denn – das habe ich
noch nicht erwähnt – auch das ist wichtig, dass der Tag einen festen
Rhythmus hat. Dieser feste Rhythmus führt jeden Tag dazu, dass ich
mich aufgrund der aufputschenden Wirkung des Tees nicht mehr in der Lage
sehe, mich still an einen Tisch zu setzen. Mir ist nach Aktion zu Mute,
nach Neuem, nach Inspiration. Ich könnte Konzepte entwickeln, Pläne
schmiden, der kirchlichen Jugendarbeit mit einem Schlag über Jahrzehnte
hinaus sämtliche Sommerlager vordenken. Indes, ich will nicht. Denn
alles, was ich in diesem Moment denke, könnte das bereits Gelernte
(was mengenmäßig tendenziell maßlos überschätzt
wird) wieder verdrängen. Also versuche ich äußerst aufgedreht,
nicht zu denken, was Schwindelgefühle auslöst und Fresssucht
hervorruft.
Zum Glück ist es bald Abend, und das Bierchen
mit Freunden beruhigt wieder ein wenig. Gemeinsam fassen wir den
Beschluss, morgen mehr zu tun. Mehr tun heißt aber immer auch, sich
besser zu konzentrieren. Also beschließen wir weiterhin, zunächst
einmal richtig auszuschlafen.