www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Wer reich werden will, muß sein Glück selbst
in die Hand nehmen. Etwa beim Lottospiel. Manche nehmen ihr Glück
nicht selbst in die Hand und werden trotzdem reich. Wahrscheinlicher allerdings
ist: Man nimmt sein Glück nicht in die Hand und wird trotzdem arm.
Angefangen hat es damit, daß Micha (Für die,
die ihn noch nicht kennen: Er ist unser Jugendreferent.) für irgendeine
kuriose Aktion, deren Sinn und Zweck nichts weiter zur Sache tut, Streichholzschachtel-Umhüllungs-Banderolen
in nicht zu geringer Zahl benötigte.
Kleinstädtische Geschäfte haben den Vorteil,
daß man alles bekommen kann, wenn man nur charmant genug fragt. Micha
versuchte zuerst im Tabak-Lädle sein Glück und hatte (anders
als bei anderen Satiren) sofort Erfolg. Die nette Dame hinter dem Ladentisch
deckte den glücklichen Jugendreferenten mit mehr als genug Streichholzschachtel-Umhüllungs-Banderolen
ein.
So weit keine besondere Geschichte. Nun verhielt es sich
allerdings so, daß das Tabak-Lädle zugleich Lotto-Annahmestelle
war. Micha, der noch nie zuvor einen Tippschein in der Hand gehalten hatte,
dachte sich: „Jetzt tu’ ich der lieben Frau noch einen kleinen Gefallen,“
und beschloß, die erste Runde Lotto seines Lebens zu spielen. Er
kramte in seinem Kopf zusammen, was er aus dem Fernsehen über das
Glücksspiel wußte, und begann, auf dem Schein sechs Kreuze und
einen Kringel anzubringen, während sich hinter ihm allmählich
eine Schlange bildete.
„Was soll denn der Kringel um die eine Zahl?“, fragte
die zuvor nette Dame hinter dem Ladentisch verdutzt.
„Ha“, antwortete Micha souverän, „sechs Kreuzchen
und eine Zusatzzahl!“
Micha wurde über die gängigen Regeln aufgeklärt
und durfte sein Glück mit einem neuen Schein versuchen. Diesmal gab
er sich noch mehr Mühe und brachte in jedem Feld nur sechs Kreuzchen
an.
Die ehemals nette Frau hinter dem Ladentisch gab die
Zahlen in den Computer ein und sagte flötend: „Macht dann 78 Mark
50, bitte!“
„Wie bitte? Für sechs Felder?“
„Ja, Sie haben einen Dauerschein benutzt.“
„Verzeihen Sie. Das war ein Versehen. Machen Sie das
bitte wieder rückgängig.“
„Das ist leider unmöglich. Ich habe die Zahlen bereits
in das Netz eingegeben.“
Micha schluckte, zahlte und dachte, was soll´s,
fest entschlossen, nun eben eine Lotto-Karriere zu starten.
Von nun an versammelte sich jeden Mittwoch und jeden
Samstag die gesamte Familie vor dem Fernseher, um entschlossen dem großen
Glück entgegenzublicken. Einen Monat hatte der Schein Gültigkeit.
Der Monat begann vielversprechend (1 Richtige), flaute aber allmählich
ab (0 Richtige, 0 Richtige, einmal nur eins daneben), um nach einem kurzen
Zwischenhoch (2 Richtige) vollends in Bedeutungslosigkeit zu verharren
(0 Richtige, 0 Richtige).
Am letzten Mittwoch des Monats war die Familie leider
verhindert, und schon geschah das Unfaßbare. Die 14 stimmte, die
21 stimmte, und die 33 stimmte! Drei Richtige! Gewonnen!
Leider hatte die Frau hinter dem Ladentisch, die manchmal
ganz nett sein soll, Micha nicht darüber aufgeklärt, daß
Gewinne bis 100,- DM selbst abzuholen sind. Nach etlichen Wochen wurde
ihm sein Gewinn zugeschickt mit folgendem Begleitbrief:
„Sehr geehrte(r) Herr Schradi,
es freut mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß
sie von der staatlichen Lotto-Gesellschaft für 3 Richtige in der Ausspielung
vom 5. Mai 1996 einen
Gewinn von DM 4,76
– abzüglich Bearbeitungsgebühr DM 2,00
– abzüglich Porto DM 1,00
verbleibender Nettogewinn DM 1,76
erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Der Betrag ist
Ihnen in Form eines Verrechnungsschecks beigelegt.
Ihre Staatliche Toto-Lotto GmbH“
Micha machte drei Luftsprünge, rannte mit dem Scheck
auf die Bank, zahlte zwei Mark Gebühren und freute sich daran, sich
für läppische 78,74 DM zum erlauchten Kreis der Lotto-Gewinner
zählen zu können.
(Um bei der Wahrheit zu bleiben: Micha getraute sich
gar nicht, den Scheck auf der Bank einzulösen und machte auch keinen
einzigen Luftsprung.)