www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Mann oder Memme

Aus drei Gründen werde ich mich nie in meinem Leben verletzen. Erstens: Ich passe auf mich auf. Zweitens: Ich bin stark. Drittens: Ich habe Angst vor dem Doktor.
Letztens habe ich es dennoch herausgefordert. Ich habe mit einigen Freunden und Bekannten ein 24stündiges Fußballspiel veranstaltet. Dabei geht es darum, möglichst viele Gegner auf die Bänder zu treten, damit möglichst wenige gesunde Gegner konditionell unterlegen sind. Daraufhin schießt man ein paar Hundert Tore und sammelt damit Geld für Straßenkinder in Paraguay, damit die sich Fußballschuhe mit Stollen leisten können und ihren Gegnern endlich auf die Bänder treten.
Das Risiko bei diesem Spiel ist natürlich, daß man selbst mit einem Bänderschaden ausscheidet. Was mir nicht passieren kann...
Die Tage vor dem Event war ich schrecklich nervös und konnte nicht schlafen. So nervös war ich, daß ich phasenweise nicht mehr unterscheiden konnte, ob ich nur nervös war oder womöglich Fieber hatte (unvorstellbar: so kurz vor dem größten Tag des Jahres). Vielleicht konnte ich ja wegen dem Fieber nicht schlafen. Oder hatte vom wenigen Schlafen Fieber. Oder fieberte einem Stündchen Schlaf entgegen. Wie auch immer – ich tat das einzig richtige und verdrängte die Zahlen auf meinem Fiebermesser.
So kam der große Tag. Ich war nervös, übermüdet, fiebrig und hochmotiviert. Leider war es sehr heiß an dem Tag. Nach dem ersten Tor klappte ich zusammen. Als ich wieder denken konnte, reagierte ich blitzschnell, tat so, als band ich meine Schuhe, ließ mich kurz auswechseln und legte mich an den Spielfeldrand. Nach wenigen Augenblicken fühlte ich mich wieder fit, stürmte auf den Platz und gegen einen Gegenspieler, wobei ich mir eine blutige Nase holte.
Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Und ein Fußballer schon gar nicht. Ich kickte weiter, rannte, kämpfte, grätschte meine Waden auf, bekam einen Schlag gegen das Knie, einen gegen den Oberschenkel und verlor eine Kontaktlinse. In Spielminute Drei fragte ein Mitspieler, ob ich mich nicht gut fühlte.
Ich? Mich nicht gut fühlen? Wo kämen wir denn da hin. Ich machte ihn an, von wegen er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern, und jagte weiter meinem ersten Tor entgegen. Wenig später die ganz dicke Chance. Ich habe den Ball am Fuß, will um den Torwart herum gehen, er spitzelt den Ball weg, ich falle, und in dem Moment krampfen beide Waden.
Ich sagte natürlich nichts. Aber nachdem ich es eine Viertelstunde lang nicht schaffte, aufzustehen, kamen die anderen besorgt angerannt, schnappten meine Füße, dehnten meine Waden und trugen mich an allen Vieren vom Platz, während ich beteuerte, mir würde nichts fehlen, das sei ein Mißverständnis, alles Intrige, sie wollten mich schneiden, alles Matthäusse, eine Schweinerei, sofort loslassen!
Das taten sie, und ich plumpste auf die Matratze. Zwei Helferinnen schnappten sich meine Waden und kneteten darauf herum. Nach wenigen Handgriffen spürte ich die Besserung, bedankte mich, sprang auf und krabbelte unter kleineren Nachkrämpfen (nicht weiter beachtenswert) erneut auf den Platz.
Dort erst bemerkte ich, daß sie mir einen Schuh ausgezogen hatte. Nicht weiter tragisch, dachte ich, doch da meinem Fuß nun das schützende Element fehlte, knickte ich beim ersten Antritt um. Jetzt war es passiert! Ein stechender Schmerz zog sich das Fußgelenk nach oben. Einen gewaltigen Schrei – wollte ich ausstoßen, doch gerade noch rechtzeitig bekam ich mich wieder in den Griff, biß auf die Zähne und sagte leise: „Autsch.“
Dann stürzte ich mich wieder ins Geschehen. Schließlich verblieben mir nur noch 23 Stunden und 30 Minuten für mein Tor. Auch wenn meine Mitspieler mich immer wieder darauf hinwiesen, daß mein Lauftempo um einiges hinter meinem üblichen Niveau und dem eines Regenwurmes zurückbliebe, blieb ich beharrlich auf dem Feld und ließ mich nicht auswechseln.
Doch meine Taktik mußte ich nun ändern. Ich schränkte meinen Aktionsradius auf den vorderen Teil des Feldes ein. Dort aber ackerte ich wie ein Laufwunder. Ein ums andere Mal rannte ich zwischen dem rechten und linken Torpfosten hin und her, um Räume für die anderen zu reißen und mich selbst freizulaufen. Mit unbeschreiblichem Willen und einer beeindruckenden Energie hielt ich das rund 23 Stunden am Stück durch, im einen oder anderen Fall auch mal sitzend oder robbend. Aber wer meine Augen gesehen hätte, der hätte diesen unbedingten Willen gesehen, der einen Siegertypen ausmacht.
Und in Stunde 24, genau nach 1412 Minuten, wurde ich für meinen ausdauernden Einsatz belohnt: Ein harter Schuß traf mich am Hinterkopf und zischte von dort aus förmlich ins Kreuzeck! Was für ein Tor! Welche Technik! Zu gerne hätte ich eine Ehrenrunde gelaufen und mich feiern lassen. Indes: Es ging nicht mehr.
Gut, wir haben das Spiel schließlich 76:311 verloren, doch ich kann mich trotzdem als Sieger fühlen. Schließlich war ich am längsten von allen auf dem Feld und habe mein Durchhaltevermögen bewiesen. Aussagen, nach denen wir mit frischeren Spielern hätten gewinnen können, muß ich als unqualifiziert zurückweisen.