www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Müllsammelsackproblem

Immer nur auf die Bürokratie schimpfen, das ist unfair. Es bewegt sich auch wirklich was, wenn alle an einem Strang ziehen. Aber dann müssen ziemlich viele ziehen.
Micha hatte also einmal mehr Ärger mit einer Gruppe in seinem Freizeitheim. Die nämlich war ganz lieb gewesen und hatte den ganzen Heidebereich um das Haus fein säuberlich von jedwedem Müll gereinigt und für diesen jedweden Müll feinsäuberlich keine Mülltonnen-Kapazität mehr vorgefunden. Zuviel Müll - dieses Vergehen kommt in Deutschland gleich hinter Mord und illegaler Einreise. Und dieses Schlamassel (österr.; dt.: der) durfte Micha ausbaden.
Aber eigentlich waren die doch gar nicht böse, dachte Micha, sondern haben die Umwelt von Schmutz befreit, noch dazu die städtische Umwelt. Nichts lag näher, als aufs Rathaus zu marschieren und der Frau, die die Müllsäcke verkauft, diese Begründung an den Kopf zu knallen.
„Ja, da haben Sie recht,“ sagte Frau Städtische Müllsackverkäuferin sozial, „ich würde Ihnen gerne Müllsäcke zur Verfügung stellen. Nur leider kann ich da nichts machen. Aber versuchen Sie es doch bei Herrn Ordnungsamtleiter.“
Herrn Ordnungsamtleiter gab sich ebenso kulant, konnte aber ebensowenig machen.
„Wissen Sie was: Gehen Sie doch direkt zum Bürgermeister. In diesem Fall wird er sich bestimmt für Sie einsetzen.“
Micha ging eine Treppe nach oben (welch früher Teilerfolg!) und betrat das Zimmer der Frau Bürgermeistersekretärin, die linke. Auch die war außerordentlich angetan von der rührigen Müllsammelgeschichte und wollte am liebsten eigenhändig nach den Müllsäcken schauen. Doch leider war auch sie nicht dafür zuständig, sondern, wenn überhaupt, der Herr Stellvertretender Bürgermeister, der den Herrn Etatmäßigen Bürgermeister zu vertreten hatte.
Herr Stellvertretender Bürgermeister hatte zufällig das Gespräch im Vorzimmer mitangehört und die Sache für wichtig empfunden. Er stürmte aus seinem Zimmer und erklärte das Müllsammeldrama kurzerhand zur Chefsache.
„Na klar bekommen Sie städtische Müllsäcke, das ist gar keine Frage!“, tönte er, „ich weiß nur leider nicht, von welchem Geld.“ Damit beauftragte er Frau Bürgermeistersekretärin, die rechte, im Haushaltsplan nach einem Posten für Müllsäcke für gemeinschaftliche Müllsammelaktionen zu suchen.
Frau Bürgermeistersekretärin, die rechte, wälzte bereitwillig einen Katalog, der die Dicke sämtlicher Versandhäuser zusammen übertraf, und mußte schließlich eine negative Rückmeldung geben.
„Außer“, gab sie zu bedenken, „außer Sie nehmen das Geld vom Posten ‘Zur freien Verfügung des Bürgermeisters’.“
Stimmt, den gibt es ja auch noch, durfte Herr Stellvertretender Bürgermeister gedacht haben, und gab hurtig den Auftrag, alles für die Beschaffung des Geldes notwendige in die Wege zu leiten. Während Frau Bürgermeistersekretärin, die linke, nach dem entsprechenden Formular fahndete, ging Herrn Stellvertretendem Bürgermeister auf, daß die Stadt bei dieser Sachlage ja für die geplante öffentliche Stadtputzete auch gar kein Geld für die etwaige Müllbeseitigung hätte. Welche Wellen man lostreten kann, wenn man eine Heide von Unrat befreit!
Frau Bürgermeistersekretärin, die linke, hatte nun das Formular ausgefüllt, Herr Stellvertretender Bürgermeister unterschrieben, und so schritten Micha und Herr Stellvertretender Bürgermeister Seite an Seite von Büro zu Büro, um die restlichen nötigen Unterschriften möglichst rasch zu sammeln, etwa die Autogramme des Herrn Stadtkämmerers, des Herrn Ordnungsamtleiters, der Frau Städtische Müllsackverkäuferin und einiger anderer, deren Namen mir entfallen sind.
Danach bekam Micha das Geld von Herrn Stadtkassier ausgezahlt und konnte bei Frau Städtischer Müllsackverkäuferin vier Müllsäcke für zusammen 44,00 DM erwerben, die unter dem Posten ‘Zur freien Verfügung des Bürgermeisters’ in die Annalen der Stadt eingehen werden.