www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Daß es keine Nikoläuse gibt, weiß heutzutage
jedes Kind. Da trotzdem jemand die Erziehung der Kinder retten muß,
gibt es zum Glück nachgemachte vom Evangelischen Jugendwerk.
Meine zwei Buben sind grausame Bälger. Obwohl ich
ihnen jahraus jahrein mit Liebe begegne, jammern sie jedes, aber auch wirklich
jedes Mal, wenn ich sie auch nur bitte, mir ein Bier aus dem Keller zu
holen und meine Pantoffeln oder den Fernseher anzumachen und die Heizung
höherzudrehen. Marc ist jetzt sechs, Ralph wird bald vier.
Um ihnen ihre faulen Flausen auszutreiben, habe ich also
einen Nikolaus engagiert, für eine kleine Spende. Abends, so gegen
halb sechs, sitzen wir zufällig – das habe ich arrangiert – alle vor
dem Fernseher. Die Videokamera liegt bereits auf der Kommode. Gegen sechs
höre ich ein Auto in den Hof knattern, wohl eine ‘Ente’.
Mit der Ausrede, ich müsse nach der Katze sehen,
gehe ich ihnen entgegen und drücke ihnen einen Zettel in die Hand,
auf denen die Untugenden meiner Jungs festgehalten sind. Doch was muß
ich feststellen! Der Knecht Ruprecht hat gar keine Rute dabei! Wie stellen
sich diese Pseudo-Nikoläuse das eigentlich vor? Einem freundlich lächelnden
Nikoläuschen werden meine Kinder noch nie abnehmen, daß sie
ein Luderpack sind!
Kurz entschlossen drücke ich dem Ruprecht den Baseballschläger
in die Hand, der bei uns immer neben der Tür lehnt. Damit er
sich nicht wehren kann, rufe ich zugleich: „Oh! Der Nikolaus ist da! Und
der Knecht Ruprecht! Kommt nur herein! Deine Rute ist aber hart, Knecht!
Waren meine beiden Buben so böse?“
Als wir das Wohnzimmer betreten, versteckt sich Ralph
unterm Sofa. Weichei! Sowas will der Sohn seines Vaters sein! Ich spotte:
„Ralphi! Angsthäschen! Was wirst du denn Angst vor dem lieben Onkel
Nikolaus haben? Komm, sei lieb und setzt dich hin! Sonst nimmt dich der
Ruprecht mit in seinem Sack!“
Ralph klettert aufs Sofa und zittert.
„So, Nikolaus,“ vermittle ich, „was steht denn drin in
deinem goldenen Buch?“
Gespannt erwarte ich eine saftige Standpauke gegenüber
meinen Kleinen, die sie einfürallemal kurieren wird von ihrer Aufmüpfigkeit.
Doch was macht der Nikolaus? Geht hin zu meinem Ralphi.
Lächelt ihn an, fragt ihn, wie er heißt, wie alt er ist, was
für Hobbies er hat, lobt ihn für seine Spielsachen und seinen
Mut.
Ich muß eingreifen.
„Aber in Deinem Buch stehen Doch auch böse Sachen
drin, Nikolaus! Siehst du dem Knecht seine Rute, Ralph?“
Ralph beginnt zu weinen.
Der Ruprecht stellt den Schläger weg, gibt meinem
Sohn eine Orange und versucht, ihn zu trösten.
„Werden Sie wohl die Finger von meinem Sohn nehmen! Soll
er halt flennen, der ungezogene Lümmel!“
Jetzt fällt mir auch noch meine Frau in den Rücken.
„Aber Horst –“, sagt sie. Auf die Frauen kann man sich
wirklich nie verlassen, wenn es darauf ankommt. Ich muß sehen, wie
ich die Situation in den Griff bekomme. Ich entreiße dem Rotmantel
sein Buch und beginne selbst zu tadeln.
„Marc!“, rufe ich, während auch er immer kleiner
wird, „hier steht, du sollst gefälligst gehorchen, wenn dir deine
Eltern – wenn dir dein Papa etwas sagt! Und du Ralph:...“
Er heult auf. Nikolaus und Knecht überschreiten
den Grad der Tolerierbarkeit.
„Ihr seid schon ganz brave Jungs,“ sagen sie. „Eurer
Vater muß gar nicht böse mit euch sein. Ihr habt nichts Schlimmes
gemacht.“
Ich halte die beiden an, auf der Stelle mein Haus zu
verlassen. Sie sagen noch was von „unpädagogisch“ und „euer Vater
ist ein wenig durcheinander“ und „hat ihre Frau denn keine Meinung“, bis
ich schließlich drohe, mit dem Baseballschläger nachzuhelfen.
Sollen doch Kinder beschenken, wo der Pfeffer wächst! Hier meine Erziehung
versauen! Idealisten! Nikolauspack!
Da könnten meine Jungs ja beinahe den Eindruck gewinnen,
ich sei ein Rabenvater. Um ihnen zu beweisen, daß dem nicht so ist,
gibt es, nachdem sich alle einigermaßen erholt haben, noch ein kleines
Nikolauspräsent. Mein Großer kriegt eine Modellbahnanlage, mein
Kleiner einen Ein-Meter-Plüschteddy.
Nur habe ich leider bei dem ganzen Trubel vergessen,
die Videokamera einzuschalten.