www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

   zurück   

No gifts please

Für so ausgebufft hatte ich Michel nun wirklich nicht gehalten. Doch zu seinem dreißigsten Geburtstag schaffte er es geschickt, sämtliche Gäste daran zu erinnern, das Geschenk für ihn nicht zu vergessen. Auf der Einladung stand in großen, leuchtenden Lettern: „No gifts, please!“
Eigentlich hatte ich von Michel angenommen, daß ihm Geschenke nicht so viel wert sind. Zuletzt an Weihnachten hatte er statt Geschenken für die Erhaltung des sibirischen Tigers gesammelt. Vermutlich hätte ich ihn also an seinem Geburtstag nicht gerade mit Geschenken überhäuft. Und ich hätte angenommen, daß Michel es geschätzt hätte, wenn ich ihm nicht irgendeinen Plunder präsentierte. Doch nun dies: „No gifts please!“ – Keine Geschenke bitte!
Deutlicher – und raffinierter – kann man eine Aufforderungzum Schenken nicht formulieren!
Zunächst dachte ich ja noch, ich könnte mich auf den Wortlaut der Einladung berufen, doch ich merkte sehr bald, daß ich sie sehr wohl richtig verstanden hatte. Drei Tage vor der Feier fand in unserer Stadt ein Flohmarkt statt. Irene kam mir freudig entgegen.
„Ich habe eine Krawatte gefunden für Michel! Schließlich kommt er langsam in ein bürgerliches Alter.“
Na gut, dachte ich, sie wird die Einladung nicht gelesen haben. Da stupfte mich Sanne von hinten.
„Weißt du, wo es hier billige Krawatten gibt?“, fragte sie. „Ich will Michel eine schenken.“
„Hast du nicht gelesen, daß auf der Einladung ‘No gifts’ stand?“, entgegnete ich und tat so, als hätte ich die eigentliche Bedeutung der Worte nicht erkannt.
„Weißt Du,“ klärte Sanne mich über das auf, was ich eigentlich schon lange wußte, „das sind doch keine Geschenke, nur kleine Zeichen der Anerkennung.“
Damit war klar, daß ich auf keinen Fall ohne Geschenk erscheinen konnte. Kein Mensch kann so beschämend dumm und ignorant sein, um ‘No gifts, please’ falsch zu verstehen.
An allen Tischen und Ständen sah ich nur noch Leute stehen, von denen ich annahm, daß sie sicher auch zu Michels Geburtstag eingeladen waren. Was sie alles fanden! Grüne Krawatten, bunte Krawatten, schwarze Krawatten, gestreifte Krawatten, lustige Krawatten, ernste Krawatten – nur ich hatte natürlich wiedermal keine Idee.
Schließlich erschwerte sich die Aufgabe für mich noch in der Weise, daß ich mit meinem Geschenk auch noch die Schmach vom vergangenen Jahr wettmachen mußte. Damals war ich besonders kreativ gewesen und hatte Michel, der immer gesagt hatte, er wolle nicht alt werden, eine Sandkastenausrüstung geschenkt.
Der Flohmarkt schloß, und ich stand mit leeren Händen da. In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Am nächsten Tag schwänzte ich die Schule und durchstöberte sämtliche Geschäfte. Doch es gab nichts – überhaupt nichts – was einem Menschen gefallen konnte, der sogar die Unverschämtheit besaß, ‘No gifts, please’ auf seine Einladungskarten zu schreiben. Eine Weile blieb ich vor einem Krawattenständer stehen, befand aber auch eine Krawatte nicht für das perfekte Geschenk.
Nach einer weiteren schlaflosen Nacht hatte ich Migräne. Immerhin konnte ich am nächsten Morgen einschlafen. Ich träumte von Krawatten, und immer wieder schwirrten die grellen Buchstaben ‘No gifts, please’ durch den leeren Raum und stürzten sich auf mich.
Schweißgebadet wachte ich auf, blieb noch eine Weile im Bett liegen und überlegte, ob es mit halb bestandenem Abitur und ein paar tausend Mark auf dem Konto sinnvoll war, in die Karibik auszuwandern.
Dann beschloß ich, meinem lieben Freund Michel diese Ungeheuerlichkeit heimzuzahlen.
Mit einem schleimigen Grinsen überreichte ich ihm am Abend des Festtages ein wundervoll verpacktes Schächtelchen, das nicht vielversprechender hätte aussehen können. Er öffnete es anmutig und behutsam. In seinen Augen funkelte die Gier nach einer Krawatte, und tatsächlich kam heraus – diese Satire.