www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

   zurück   

Gelebte Ökumene

Im Jahr des Herrn 2002 war es, dass man den Eindruck gewinnen konnte, es habe sich ein elftes Gebot in die Bibel eingeschlichen. Und dieses hieß: Aber der andere hat angefangen.
Im selben Jahr suchte die Evangelische Hochschulgemeinde Dortmund eine Köchin für ihre Gemeindeabende. Sie wurde fündig und war glücklich. Denn Celine aus Kamerun kochte die leckersten Krapfen mit der leckersten Chili-Soße, die man sich auf dem ganzen Erdball vorstellen konnte.
Doch die Evangelische Landeskirche von Westfalen legte wenig Wert auf Krapfen. Sie feuerte die Köchin, sobald sie erfuhr, dass diese katholisch war. Dabei berief sie sich auf das elfte Gebot: „Die Katholiken machen das doch auch so.“
Diese reagierten ihrerseits. Das Bistum Paderborn untersagte das Einstellen evangelischer Köchinnen in Hochschulgemeinden. Und um ein Zeichen zu setzen, untersagte es auch gleich das Anbringen von Plakaten anderer Konfessionen im eigenen Hause.
Das empörte die Westfälische Landeskirche. Sie verbot sämtliche gemeinsamen Veranstaltungen. Paderborn begann damit, evangelischen Studentinnen und Studenten in den katholischen Wohnheimen die Mietverträge zu kündigen.
Die Evangelische Landeskirche vermied fortan das Unterrichten Katholischer in den Seminaren der Theologen, während das katholische Bistum das Wort „evangelisch“ im Wortschatz verbot und die gemeindliche Studentenkneipe „Nummer 107“ in „107 Katholiken“ umtaufte.
Dann tauchte eines Tages ein findiger Student in der Evangelischen Studentengemeinde auf und fragte: „Nochmal zu dieser Köchin mit den leckeren Krapfen – ist es nicht eigentlich ein Jammer, dass wir nun eine westfälische Protestantin haben, die Pumpernickel mit rohem Fleisch auftischt? Und ist es nicht noch ein viel größerer Jammer, dass diese Studentin dadurch die Gemeindeandacht verpasst, die doch regelmäßig vor dem Essen stattfindet? Wäre es nicht viel klüger, eine katholische Köchin zu haben, so dass die evangelische Westfälin unsere Andacht miterleben kann, während die Katholikin die Andacht der Katholen leider, leider verpasst?“
Ein teuflischer Plan. Aber ein genialer. Und nach dem elften Gebot doch irgendwie zu rechtfertigen.
Also änderte die Landeskirche die Taktik. Statt einer evangelischen Köchin war es mit einem Mal Pflicht, eine katholische einzustellen. Die Krapfen kamen zurück.
Paderborn rätselte.
Und die Landeskirche jubilierte. Untersuchungen ergaben, dass im Schnitt genau eine Person weniger die Andachten der Konkurrenz besuchten.
Sie legte nach.
Durch das Umschichten von Mitteln aus der Friedensbewegung wurde ein Beschäftigungsprogramm aufgefahren, welches im Umfang für die Geschichte der Hochschulgemeinden und eigentlich überhaupt aller Gemeinden einzigartig war. Auf einen Schlag wurden 30 Teilzeitstellen geschaffen für katholische Köchinnen, und in der Ausschreibung hieß es: „Regelmäßige Andachtsbesucherinnen bevorzugt.“
Die abendlichen Essen in der Evangelischen Hochschulgemeinde wurden allwöchentlich zum Festessen unbeschreiblichen Ausmaßes, während die Andacht der katholischen Hochschulgemeinde vorübergehend vor leeren Bänken stattfand.
Dann roch Paderborn die Lunte und reagierte erneut. Sämtliche aktiven Protestantinnen wurden durch attraktive Verträge geködert und kochten fortan bei den Katholen, oder sie machten Musik in der Andacht, oder sie räumten die Liederbücher auf oder sie polierten die Blütenblätter der Zierpflanzen. Die Arbeit schien nicht auszugehen.
Daraufhin warb die evangelische Landeskirche von Westfalen den Hausmeister ab, den Zivi und die Sekretärin und hoffte, die katholische Hochschulgemeinde damit zum Erliegen zu bringen.
Doch Paderborn war noch nicht am Boden. Mit den letzten Mitteln wurde nun der evangelische Pfarrer eingekauft, und – nach kurzem Zögern – die evangelische Pfarrerin.
Es dauerte nicht mehr lange, da arbeiteten alle verbliebenen Protestanten in der Katholischen und alle Katholen in der evangelischen Gemeinde.
Am Ende der Geschichte blieben nur der evangelische Bischof evangelisch und der katholische Bischof katholisch. Alle taten sie dasselbe wie zuvor, nur bekamen sie nun alle sehr viel Geld dafür. Das würde auf lange Sicht beide Bischöfe sehr arm machen, doch sie vermochten es nicht, sich auf ein neues, friedlicheres, gemein-sameres und irgendwie deutlich billigeres Miteinander zu einigen. Schuld daran war einen neue, leicht veränderte Auslegung des elften Gebots. Und es hieß nun: Der andere soll anfangen.