www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Ich habe einen Traum. Nein, keinen Traum von Frieden und
Gleichheit. Auch nicht den Traum von Macht und Geld. Eher den Traum eines
schlichten und bescheidenen Lebens in behüteter Anonymität.
Ich habe mir schon etwas ausgedacht, um mir diesen Traum
zu verwirklichen. Es wird schwer werden, das haben Träume so an sich,
und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es je schaffen werde, ans Ziel
zu gelangen. Wie dem auch sei, versuchen muss ich es, Träume muss
man leben, also werde ich ihn leben, ich werde – ich werde ein Buch schreiben.
Damit kann man einige Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Die Anonymität werde ich dadurch erlangen, dass
es einiger geistiger Absonderungen bedarf, um das Buch zu schreiben. Ich
werde mich vier Wochen auf einer einsamen Insel einschließen und
sehr viel denken. Wenigstens einmal im Leben. Dann werde ich wieder kommen
und mein Buch drucken lassen. Das wird mich arm machen und bescheiden.
Damit werde ich mein Ziel erreicht haben.
Dann werde ich ein Nervenbündel werden. Warum? Da
es, wenn das Buch einmal geschrieben sein wird, ein Naturgesetz geben wird,
nach welchem jeder, der ein Buch geschrieben hat, dieses Buch auch in gedruckter
Form vor sich liegen haben will. Und sollte dies nicht der Fall sein, nun
– Nervenbündel.
Ich werde, das habe ich schon genau durchgeplant, mein
Buch bei „Buch“ herstellen lassen. „Buch“ steht übersetzt für
lateinisch „libri“ und heißt so viel wie „Buch“. „Buch“ wird ein
neuer aufstrebender Buchhersteller sein, der es auch Leuten wie mir ermöglichen
wird, durch Bücher anonym und arm zu werden, und nicht nur solchen,
die schreiben können.
Ich werde mein Buch also bei „Buch“ in Auftrag geben
und mein Leben unter ein neues Motto stellen: Warten auf „Buch“. Denn „Buch“
wird mir versprechen, das Buch innerhalb einer Woche zu erstellen, und
ich werde schon nach einem Tag denken, vielleicht ist „Buch“ sogar schneller,
und nach einer Woche werde ich denken, jetzt kommt gleich mein Buch von
„Buch“, und nach etwas mehr als einer Woche werde ich denken, vielleicht
ist „Buch“ ja doch etwas langsamer, und nach weiteren Wochen werde ich
denken, vielleicht ist „Buch“ einfach ganz schrecklich, schließlich
werde ich in Frage stellen, ob es „Buch“ überhaupt gibt, werde „Buch“
mit Mails beschimpfen, werde keine Anhtwort erhalten, werde mir die Frage
nach der Existenz eindringlicher stellen, werde „Buch“ telefonisch beschimpfen,
werde eine Antwort bekommen, werde denken, immerhin gibt es „Buch“ tatsächlich,
werde daher das nächste halbe Jahr zuversichtlicher warten und „Buch“
seltener beschimpfen und ein wirklich anonymes und armes Dasein fristen.
Denn das Warten auf „Buch“ wird mich vom Studieren abhalten, meine Kollegen
werden mich vergessen, meine Eltern werden meine Unterstützung streichen,
und der Staat wird Schriftsteller-Steuern verlangen, weil er der einzige
sein wird, der mich nicht vergisst. Ganz im Gegensatz zu „Buch“.
Durch Beschimpfungen werde ich „Buch“ an mich erinnern,
so dass eines fernen Tages, die Hoffnung stirbt zuletzt (und das Leben
ist kein Picknick), ein lauter Knall vor meinem Zimmer mich aus dem Schlaf
reißen wird, was sich nicht als eine umgekippte Plattenbau-Platte
herausstellen wird, sondern als ein Karton mit den bestellten unglaublich
vielen Büchern.
Dadurch werden meine Träume einen derben Rückschlag
erleiden. Ich werde reich werden und berühmt, und gar nicht bescheiden
und anonym. Die Leute werden mir die Bücher aus den Händen reißen,
meine Gedanken nicht verstehen, aber darüber lachen, meine zwei Rechtschreibfehler
pro Wort zum Kultstatus erheben, mich ins Radio schleifen und vor Publikum
zerren und von mir verlangen zu lesen, was ich doch schon immer so gehasst
hatte wie das Vorsingen in der zweiten Klasse bei dem Lehrer mit dem weißen
Kittel.
Ich werde sehr, sehr traurig sein, den wahren Sinn des
Lebens wie Felle davon schwimmen sehen, durchdrehen, Drogen nehmen und
mich Maradonna nennen.
Kurz bevor es soweit sein wird, wird aber der erste Mensch
den ersten meiner Gedanken verstanden haben, und es wird Unheil über
die Welt und Heil über mich kommen. Denn der Gedanke, so wird sich
herausstellen, wird ein gemeiner, ein häßlicher, ein diffamierender,
ein schändlicher und hinterlistiger Gedanke sein, und man wird erkennen,
dass Menschen, liebe und gute Menschen durch mein Buch bloßgestellt,
verleumdet, angegriffen und angefeindet werden, und dass ich mit der ganzen
Bosheit meiner Gedanken sogar ausgeschriebene Namen und Adressen in mein
Buch geschmiert haben werde, so wie die von Herrn Schadi aus Seißen,
und die Leute werden mein Buch verbrennen und mich aus der Stadt jagen.
Herr „Erbse“ Schradi, kleiner Insider, wird ein berühmter
tragischer Held werden, der Arme, und wird sich sein Leben lang nach Anonymität
sehnen, ich aber werde ein überaus schlichtes Leben führen in
einem dunklen, anonymen, eben behaglichen Wald und werde Tag für Tag,
Stunde für Stunde, Sekunde für Sekunde, feststellen, dass ich
am Ziel meiner Träume angelangt sein werde.
Alles spricht dafür: Ich werde ein Buch schreiben.