www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Raumplaner werden, irgendwann einmal Raumplaner werden,
das ist unser großes Ziel. Auf dem Weg dorthin müssen wir kleinen
Studenten auch mal unliebsame Aufgaben übernehmen, etwa bei Schnee
und Kälte tagelang auf grauen Parkplätzen rumlaufen und Autonummern
aufschreiben. Wir verlieren dennoch unser Ziel nicht aus den Augen. Aber
auch nur deshalb, um es uns eines Tages leisten zu können, diese Arbeit
von anderen machen zu lassen.
Zehn Mark die Stunde hatten sie mir versprochen für
die Parkraumerhebung, wie sie sagen, wenn sie meinen, Autos zählen,
und zehn Mark sind zehn Mark, da greift man doch zu, so kurz vor dem harten
Winter, wie soll man sich sonst jeden Abend einen, was sag ich, ein Dutzend
Glühweine leisten auf den zahlreichen Glühweinmärkten.
Die Arbeit selbst war verlockend einfach. Alles, was
ich zu tun hatte, war, jede halbe Stunde einmal den Parkplatz abzugehen
und die Autonummern aufzuschreiben, damit man hinterher sehen kann, wer
wie lange stehen bleibt. Dabei muss man eigentlich nur auf eines achten:
nicht zu erfrieren.
Während der ersten Runden konnte ich darauf noch
sehr gut Acht geben, denn besondere Schwierigkeiten hielten sich noch zurück.
Allerdings merkte ich schon, dass eine halbe Stunde für einen Durchgang
etwas knapp bemessen war, ich ahnte schon, dass ich zwischendrin eine Runde
würde dazu erfinden müssen, um wieder in den Takt zu kommen.
Doch so harmlos gestaltete es sich nicht. In Runde vier
durchweichte mein Papier vom vielen Wasser, das aus dem vielen Schnee um
mich herum, über mir und unter mir entstanden war. Der Kugelschreiber
war daraufhin nicht mehr in der Lage, seiner Funktion nachzukommen. Ich
ließ einige Autos aus und besorgte mir derweil einen wasserfesten
Stift.
In Runde fünf wäre dieser zum Einsatz gekommen,
hätte nicht eine Frau, so Mitte fünfzig, falsche, aber üppige
blonde Haare, Pelzmantel und Schminke mit Lichtschutzfaktor 300, nur den
Dackel dazu muss man sich denken, den hatte sie nicht dabei, hätte
nicht diese Frau es also verhindert, indem sie mich unvermittelt von hinten
ankeifte: „Der darf aber da stehen!“
„Ja, ja,“ versicherte ich, „ich vermerke die Fahrzeugnummer
nur für eine Parkraumerhebung.“
Dass sie dieses Wort nicht kannte, hätte ich mir
eigentlich denken können.
„Natürlich darf der da stehen!“, meinte sie zu widersprechen
und drohte im Selbstbewusstsein, einen reichen Gatten in der Hinterhand
zu haben: „Schreiben Sie mich ruhig auf. Das wird ein Nachspiel haben.
Das verspreche ich Ihnen!“
Während der Runden fünf und sechs versuchte
sie ihren Wagen weg zu fahren. Es war inzwischen glatt geworden.
Auffallend war, dass die anderen Fahrer offenbar durch
dieses Geschehen aufgeschreckt worden waren, ihre Wagen zunehmend hektisch
wieder aufsuchten oder vor dem Verlassen sicherheitshalber die Parkscheibe
rauskramten.
In Runde sieben setzte die Frau ihren Wagen gegen einen
Pfosten. Ich hingegen kam auch nicht besser voran, musste ich doch bei
jedem Auto erstmal das Eis vor dem Nummernschild wegkratzen.
In Runde acht riss mein durchweichtes Papier. Ich versuchte,
auf meinem Arm die Nummern zu vermerken.
Dieser erfror unglücklicherweise und fiel in Runde
neun überraschend ab.
In Runde zehn nahm die Frau ihren Fuß vom Gas und
gestand dem Pfosten den Sieg ein.
Ich hatte nun schon weit über die Hälfte der
Nummern raten müssen, und Besserung war nicht in Sicht, also entsann
ich mich einer Hilfe-Hotline-Telefonnummer, die in solchen Fällen
zu wählen sei.
Eine Handy-Nummer.
„Ja bitte?“
„Ähm, nun ja, ich fühle mich überfordert,
es schneit unerbittlich, die Runde ist zu lang, ich kann die Schilder nicht
lesen, mein Arm ist schon abgefallen, das Papier hat sich aufgelöst,
also ich wollte nur sagen, ich brauche Hilfe.“
„Das tut mir aber leid für Sie. Ich bin nur leider
schon nach Hause und sitze gerade in der Sauna, da kann ich nicht viel
machen.“
Ich wollte widersprechen, doch ihre Argumentation war
schlüssig, daher war ich schon froh, dass sie mir doch noch einen
wesentlichen Tipp mit auf die letzten Runden gab: „Hetzen Sie sich nicht.“
Das nahm ich mir zu Herzen, wärmte mich erstmal
in einem Café wieder auf, das fiel dann unter die Runden elf und
zwölf.
In Runde 13 mühte ich mich ein letztes Mal vergeblich
ab und beschloss endlich, als auf dem Arm kein Platz mehr war, mich zu
wehren.
Ich nahm meinen Edding-Stift und malte in großen
Buchstaben unter das Parkplatz-Schild die Worte: „Parkplatz gesperrt wegen
Parkraumerhebung.“
Da dieses Wort nicht existent ist im gängigen Sprachgebrauch,
drehten alle Autos furchtsam gehorchend um. Als nächstes bot ich mir
der Frau an, ihren Wagen vom Pfosten wegzufahren, stellte ihn, ach oh Versehen,
quer zur Einfahrt, entschuldigte mich und verschwand für einige weitere
Runden im Café. Für zehn Mark die Stunde kann man sich da schon
was leisten.
Dann nahm ich eine Serviette und komplettierte meinen
Erhebungsbogen. Merkwürdig, dass in den letzten Stunden kein einziges
Fahrzeug bewegt worden war. Wenn das mal nicht zu verfälschten wissenschaftlichen
Ergebnissen führt. Aber was sollte ich machen? So war ja schließlich
objektiv die Situation vor Ort.
Ich nahm die Bahn nach Hause und verpasste dadurch, wie
die Frau sich in der fiktiven Runde 26 endlich fasste und sagte: „Halt!
Wo wollen Sie denn hin! Sie können mich doch hier nicht so stehen
lassen!“