www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Ein Bild aus Peru

Da hatt’ ich mal ‚ne gute Freundin... – ich hoffe, ich habe sie immer noch, doch Zweifel sind angebracht. Denn sie wünschte sich einst ein Bild aus Peru, und ich weiß nicht, ob ihr das Ergebnis gefällt. Doch der Reihe nach. Flog ich also diesen Sommer nach Peru. Und diese gute Freundin ruft mir noch hinterher: »Und zum Geburtstag wünsch ich mir ein Bild aus Peru!«
Nichts leichter als das, dachte ich, froh darüber, nicht lange über irgendwelche Hilflos-Geschenke nachdenken zu müssen. Diesmal also nicht das dreiundzwanzigste Kartenspiel. Diesmal einfach ein Bild aus Peru.
In Lima ging ich auf den erstbesten Kunstmarkt – so etwas gibt es dort an jeder Ecke, und Ecken gibt es dort viele – und schaute mich nach einem schönen Bild um. Und das sah ich: Rembrandts, Van Goghs, Picassos. So sehr ich meine Augen auch mühte, ein Bild, das etwas mit Peru zu tun hatte, konnte ich nicht entdecken. Also beschloss ich zu fragen, ob es nicht ein kleines, aber feines Bildchen gäbe, das in unnachahmlicher und natürlicher Art und Weise anmutend das authentische Leben in den wilden Straßen dieser nebligen Stadt widerspiegelte. So gut es mein Spanisch zuließ, verließen folgende Worte meinen Mund:
»Hay originales?«
Haben Sie Originale?
»Si, si!« antwortete der Maler (ein starkes und kräftiges »si, si«, das große innere Überzeugung ausdrückt), »alles, was sie wollen. Alles Originale!« Um seine Aussage zu unterstützen, zog er einen Katalog hervor, in dem noch viel mehr Kunstdrucke abgelichtet waren. Noch mehr Picassos, Kandinskys, Michelangelos.
»Kann ich alles machen. Bis morgen!«
Dazu muss man wissen, dass vermutlich die Peruaner die Erfinder aller großen Kunstwerke sind. Genau so, wie sie die Erfinder aller Nike-Turnschuhe, aller Adidas-Jacken, aller Robbie Williams-Musik, überhaupt aller Filme, CDs und Videospiele sind.
»Alles Originale!« sagt der Verkäufer erneut.
Ich dankte herzlich und verabschiedete mich, in der festen Hoffnung, irgendwo in Peru auch ein Peruanisches Bild zu finden, und kam am Tag meiner Abreise hilfesuchend zurück.
Ich würde dann doch eines Ihrer Bilder nehmen, wollte ich sagen und deutete wortlos auf ein Bild, das eine Frau zeigte, vielleicht ging diese als Peruanerin durch, auch wenn es wohl das Werk eines englischen Malers war.
Der Verkäufer nahm es herunter, doch aus der Nähe nahm es riesige Ausmaße an.
Haben Sie das auch kleiner?
»Mas pequeña?«
»Si, si!« antwortete er überzeugt und zögerte dann kurz.
»Äh, muss ich fragen...«
Er huschte hinter seinem Stand hervor und klapperte in Windeseile alle anderen Stände ab, wild gestikulierend und debattierend, und kam nach nur wenigen Augenblicken mit einem kleineren Bild zurück, nur dass es nun einen Sonnenuntergang zeigte.
Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich doch eigentlich das Bild mit der Frau haben wollte, nur kleiner.
»Si, si!« antwortete er außerordentlich überzeugt, kramte in seinen Werken und gab mir ein Bild, das in etwa die doppelte Größe hatte.
Das ist kleiner!
Ich sagte, nein, nie im Leben, das ist viel größer, doch er ließ sich nicht von seiner Theorie abbringen.
»Si, si!« – das ist kleiner! Und wunderwunderschön.
»Que bonito!«
Also gut, dachte ich, der Flieger fliegt mit und ohne mich, und eine gute Freundin bleibt nur eine gute Freundin, wenn man ihr manchmal einen Wunsch erfüllt, also nahm ich das »größere« Bild – das »kleinere« hätte niemals ins Flugzeug gepasst – zahlte einen unverschämt geringen Preis für dieses Original, und machte mich auf zum Flughafen.
So weit, so gut.
Doch am Flughafen bekam ich es plötzlich mit der Angst zu tun, man könne es mir übel auslegen, falls ich Bilder exportiere, die zwar in Peru als Original gelten, ein ganz bestimmter Engländer das aber ganz bestimmt anders sieht. Mit zittrigern Knien stand ich in der Schlange am Zoll, und in einem Anflug von Panikreaktion beschloss ich, mittels meines Leberwurstbrotes geringfügige Änderungen an dem Bild vorzunehmen und es dadurch in den Stand eines echten Originals zu versetzen.
So weit, so gut.
Aber dann will ein solches Bild im Flugzeug aber auch erst mal verstaut sein. Es klappte ganz gut, mit der kleinen Einschränkung, dass ich den Inhalt meines Rucksacks gleichmäßig in der Gepäckablage verteilen musste, da Bild und Rucksack sonst insgesamt zu dick gewesen wären. So kam es, dass – zur Sicherheit immer die Zahnbürste im Handgepäck! – sich meine Zahnpaste im Laufe der elftausend Kilometer genüsslich auf dem Leberwurstbrot ausbreitete.
So weit, so gut.
Wirklich ungeschickt war dann aber, dass es in der S-Bahn in Frankfurt so dermaßen eng war, dass die Damen und Herren neben mir – ich will da niemandem einen Vorwurf machen oder Absicht unterstellen – mit ihren Mänteln und Jacken Leberwurst und Zahnpasta derart gleichmäßig auf dem Bild verteilten, dass man nun von der peruanischen Frau beim besten Willen nichts mehr erkennen kann.
Nicht so gut.
Vielleicht schreib ich rechts unten einen peruanischen Namen hin und sage meiner guten Freundin, man malt dort so. Wer weiß das schon.