www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Das kommt davon, wenn man auch nur einen Tag lang sein Öko-Image
ablegen möchte. Aufgeschreckt durch die Weltuntergangsprognosen der
Wirtschaftsbosse und deren Forschungsunternehmen beschloss ich eines Morgens,
den Glauben an das endlose Wachstum der Wirtschaft in mir zu wecken und dieses
durch einen einzigartigen Kaufrausch gleich mächtig anzuregen. Doch
statt mir zu Füßen zu liegen, stieß mich die Wirt-schaftswelt
am Ende der Geschichte aus ihrem Kreis. Und das kam so:
Der Kaufrausch kam nicht ganz überraschend. Wenn man aus
ökologischer Penetranz und studentischer Träg-heit heraus tagein
tagaus nichts anderes kauft als ge-brauchte Zeitungen und Freilandeier, dann
kommt man in regelmäßigen Abständen von rund zehn Jahren
an den Punkt, an dem man ungefähr mal wieder alles braucht. Und mit
„alles“ meine ich in diesem Fall wirklich „alles“ – außer Zeitungen
und Eier.
Also ging ich los in die Stadt, und zwar ohne Jute-Tasche, da
ich ohnehin eine neue brauchte. Zunächst kaufte ich mir Hose und Pulli,
warf meine gammligen Kord-Klamotten in den nächsten Altkleider-Container
und machte mich auf die Suche nach Shampoo. Mir fiel auf, dass die Frau Shampoo-Verkäuferin
mich deutlich zuvor-kommender bediente als die Frau Pulli-Verkäuferin,
da ich durch mein neues Outfit bereits bewiesen hatte, dass ich es gut mit
dem Standort Deutschland meinte.
Zu meiner großen Enttäuschung musste ich jedoch feststellen,
dass die Shampoo-Verkäuferin, zuvorkom-mend hin oder her, nicht in der
Lage war, mir das Objekt der Begierde in die heiß ersehnte Jute-Tasche
zu stecken, da Jute-Taschen leider seit meinem letzten Einkauf vor zehn Jahren
aus dem öffentlichen Leben verschwunden waren. Sie gab mir stattdessen
eine Plastiktüte, die ich mit unterdrücktem Ekel entgegen nahm.
„Dann kriegt halt auch die Plastiktüten-Industrie was von
meinem Wachstum ab,“ versuchte ich mich heraus zu reden und ging über
zum Schuhe-Kauf. Der Herr Schuh-Verkäufer war freundlich und respektvoll,
wie ich es noch nie erlebt hatte. Sah ich etwa aus, als hätte ich Geld?
Jedenfalls: Ehe ich ahnte, was geschah, hielt ich eine zweite Plastiktüte
in der Hand mit frisch erworbenen Wildlederschuhen.
Völlig verdutzt registrierte ich darauf, wie sich im Haushaltswaren-Laden
gleich zwei Verkäuferinnen auf mich stürzten und mich beinahe leidenschaftlich
ab-knutschten vor lauter Kundenfreundlichkeit, hätte ich nicht eben
schnell eine Rührschüssel gekauft und mit meiner dritten Plastiktüte
den Laden fluchtartig wieder verlassen.
Als dieser Empfang im Feinkostladen noch getoppt wurde, dämmerte
es mir: Es musste einen Zusammen-hang zwischen Plastiktüten und Service
geben. Die Zahl der mitgeführten Tüten gab offenbar Aufschluss
über mein Konsumverhalten, und ein Kunde, der seine Tüten kaum
noch halten konnte, schien ein zahlungskräftiger und kauflustiger Kunde
zu sein. Auch wenn ich das selbst nicht von mir gesagt hätte –
jetzt, da ich mir des-sen bewusst war, bekam dieses neue Image einen über-raschend
hohen Wahrheitsgehalt. Denn die unverhoffte Zuneigung der gesamten städtischen
Verkäuferschaft machte mich derart stolz, dass von Kaufrausch schon
bald keine Rede mehr sein konnte. Ich befand mich nun in der reinsten Kauf-Ekstase.
Mit der fünften, sechsten und siebten Plastiktüte unterm Arm steuerte
ich wie in Trance auf den Höhepunkt zu. Bei Tüte Nummer acht boten
sie mir bereits ein kostenloses Taxi an, um meine Fracht zu versorgen, bei
Nummer neun wurde mir unge-fragt eine GoldCard für vermeintlich treue
Kunden aus-gehändigt, so dass ich mit Schaum vor dem Mund nur noch so
nach der zehnten Tüte lechzte.
Doch da kippte die Geschichte. Das heißt, eigentlich rutschte
sie aus. Denn kein Mann der Welt kann mit zehn Tüten um den Körper
eine Bananenschale bemer-ken, die einem hinter dem Laternenpfahl auflauert.
Es setzte mich und meine Tüten in eine unerfreulich schlammige Pfütze.
Unglücklicherweise ließ ich mich in meiner Kauf-Ekstase davon
nicht bremsen und rannte geradewegs ins Juweliergeschäft. Doch von Höflichkeit
keine Spur! Kein roter Teppich. Keine GoldCard. Nicht einmal eine neue Plastiktüte.
Mit dem lapidaren Kom-mentar, das Sozialamt sei drei Häuser weiter,
wies mich der Herr Juwelen-Verkäufer aus dem Laden.
Draußen das selbe Bild. Wer eben noch grüßend
den Hut gezückt hatte, um seiner Hochachtung gegenüber meiner wirtschaftsfördernden
Ader Ausdruck zu verlei-hen, machte nun einen Bogen um mich, rümpfte
die Nase und tuschelte hinter meinem Rücken etwas von „Gesindel“ und
„Pack“.
Der Kaufrausch war rapide zu Ende. Tief gekränkt trottete
ich mit meinen Einkäufen nach Hause, nachdem sie mir den Einstieg in
die Bahn verweigert hatten. Und auch die Frau Verkäuferin Nummer acht
wollte sich nicht mehr an das Versprechen mit dem Taxi erinnern. So groß
war also der Unterschied zwischen acht und neun Plas-tiktüten! So groß
der Unterschied zwischen sauberen und, sozusagen, gebrauchten Tüten.
Kein Wunder eigentlich, dass ich mich erst in zehn Jahren wieder
zum Einkaufen trauen werde.