www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Es lebe der Wettbewerb! Anstatt nur immer auf der Bahn
rumzuhacken, habe ich mich nun von meinem studentischen Übermut übertölpeln
lassen und habe – kurzerhand – meine eigene Bahn erschaffen, eine Privatbahn.
Die Aussichten könnten verlockender nicht sein!
Denn meine eigene Bahn, ich nannte sie liebevoll schwäbisch „’S Bähnle“
oder abgekürzt B, entspricht genau meinen Bedürfnissen: Freitags
runter nach Schwaben und am Sonntag zurück nach Dortmund. Aus langjähriger
Erfahrung in vollen Zügen war ich mir sicher, dass ich diese Bedürfnisse
mit Abermillionen Fernpendlern teilte. Auch sonst wollte ich alles besser
machen, freundlicher und billiger würde ich sein und schneller und
schöner. Was würden die Leute mein Bähnle feiern! Ich machte
mir kaum Sorgen ums Geschäft.
Schnell kaufte ich mir einen alten Zug in Polen, von
dem man beteuerte, er sei nicht geklaut, polierte ihn in mühseliger
Kleinarbeit auf und wollte schon bald den Betrieb aufnehmen.
Dumm nur, dass die DB mir am Freitag und Sonntag keine
„Trasse“, wie man sagt, zur Verfügung stellen wollte, sondern nur
Donnerstag und Dienstagnacht. Ziemlich alleine fuhr ich einmal hin und
her.
Nun gut, dachte ich, muss ich eben in der Anfangsphase
durch Service überzeugen. Im B-Reisepark gab es fortan im krassen
Unterschied zum DB-Reisezentrum ständig Tee und Kaffee für die
Kunden und persönliche Beratung durch den B-Chef persönlich,
also mich. Davon können DB-Kunden nur träumen.
Dumm nur wiederum, dass niemand bereit war, den Euro
aufzuwenden, den man einwerfen musste, um über die Toilettenanlagen
und die Putzkammer, in der die Putzfrau beharrlich ihre Besen und Eimer
vor meiner Tür plazierte, zum B-Reisepark zu gelangen. Eine andere
Räumlichkeit wollte mir die DB nicht anbieten.
Ist ja nicht so schlimm, dachte ich, wenn der Kunde nicht
zu mir kommt, muss ich eben zum Kunden kommen, und so versuchte ich, meine
Privatbahn übers Internet anzupreisen. Und schon wenige Wochen später
hatte ich einen Fahrgast. Das war der Anfang vom Ende.
Denn der Fahrgast wollte ungeschickterweise nicht von
Dortmund nach Schwaben, sondern von Dortmund-Wambel nach Schwaben. Er kaufte
eine Fahrkarte bei der DB für die gesamte Strecke, und diese stellte
mir für den unsagbar gutmütigen Service, mich dadurch von der
harten Arbeit des Fahrscheinverkaufens entlastet zu haben, so viel an Gebühren
in Rechnung, dass ich den guten Herrn Fahrgast einfacher umsonst gefahren
und ihm nebenbei eine Villa am Comer See geschenkt hätte.
Ich brauchte einige Wochen, um mich von meinem ersten
Kunden zu erholen, doch die DB ließ mir keine Ruhe mehr. Ich könne
meinen Zug nicht einfach auf Gleis 10 a/b des Dortmunder Hauptbahnhofs
parken, monierte sie kleinlich. Ich müsse schon einen Stellplatz für
ihn haben. Also schmiedete ich mir mit Hilfe meiner ärmlichen Modellbahnkenntnisse
ein Gleis zusammen und versuchte es an die vorhandenen Gleise anzubauen.
Dumm irgendwie, dass die DB das mitbekam und fürs
Anschließen des Gleises, nun ja, ziemlich viel Geld wollte. Also
ließ ich es sein. Zum Glück bot mir die DB im Gegenzug ein Abstellgleis
an, das ich mieten konnte.
Und da steht meine Bahn jetzt.
Denn, dumm, dumm, anderntags fehlte aus mir nicht bekannten
Gründen plötzlich ein Stück Schiene im Gleis, so dass ich
meinen Zug nicht mehr bewegen konnte.
Ich forderte die DB auf, den Schaden zu beheben, doch
die sagte, nee, nee, sie habe genug mit den eigenen Strecken zu tun, da
könne sie sich nicht auch noch um Gleise kümmern, die sie nicht
befahre.
Also musste ich wieder selbst schmieden.
Doch da kam die DB an und sagte, hee, hee, ich könne
doch nicht an ihren Gleisen rumhantieren, denn gehören, ja, gehören
würden sie ja immer noch ihnen. Und so fühlte ich Unternehmer
mich plötzlich wieder so, wie ich mich als Fahrgast immer schon gefühlt
hatte: ausgetrickst.
Das war die kurze Karriere der B. Ich hoffe, der Fahrgast
hatte eine gute Fahrt. Was mich persönlich anbelangt, so hat sich
zumindest ein Problem erledigt. Da mein verbliebenes Kapital kaum für
eine Fahrt nach Bochum reichen dürfte, habe ich zumindest eines erreicht:
Ich muss nicht mehr auf die Bahn schimpfen.