www.albrecht-reuss.de | Stand: 03.01.2014 | Impressum

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Die Putzfrau

Man muss deligieren können. Man muss nicht immer alles selber machen. Man soll auch andere gelten lassen können, auch andere Ergebnisse akzeptieren. Kurzum: Wir haben jetzt auch eine Putzfrau.
Wo wir auch hinschauten im Freundeskreis: Überall extrem gestresste, aber extrem organisierte Doppelverdiener, die Spülen der Spülmaschine überlassen, das Waschen der Waschmaschine und das Putzen der – nein, hier spielt der Fortschritt eben noch nicht mit. Deshalb hatten sie sich alle im Freundeskreis, nach langen Diskussionen und mit quälenden Gewissensbissen, für eine Putzfrau entschieden.
Das Kindererziehen überlassen wir ja auch nicht der Erziehungsmaschine, sondern echten Profis, argumentierte ich. Warum sollen wir auf diese Weise nicht etwas von unserem Wohlstand weitergeben?, frage ich.
Meine Frau hingegen: Das gehört sich nicht! Wie wachsen denn dann unsere Kinder auf? Die lernen ja gar nichts mehr über Anstand und Benehmen, wenn alles die Putzfrau wegmacht, was die hinterlassen!
Recht hatte sie. Aber ich habe mich trotzdem durchgesetzt.
Und so sitzen wir neulich beim Abendessen, als Paul sanft seine Spagetti zu boden gleiten lässt. Natürlich mit Soße und Teller. Meine Frau schaut so, als wolle sie sagen: Siehst Du, Mann! Jetzt kannst Du mal sehen, wie Du ihm beibringst, dass er keine Sauereien machen soll! Bis gestern hätte ich argumentieren können, dass er schuld dran ist, dass seine liebe, liebe Mama das wegmachen muss, aber heute, wo wir eine Putzfrau beschäftigen?
Ich nehme die Herausforderung an. Der Spagettisamtsoßenundtellerhaufen bleibt schön so liegen, bis am Freitag die Putzfrau kommt. Ich nehme extra Urlaub und hole Paul früher von der Kita ab. Gemeinsam warten wir, bis Frau Schimmscheck, ich weiß nicht genau, wie man ihren Namen schreibt und spricht, ich nenne sie jedenfalls so, wir warten also gemeinsam, bis Frau Schimmscheck kommt. Ich lasse sie herein und zeige ihr gleich das Häufchen.
Sie schaut etwas irritiert. Einige Erklärungsversuche später kniet sie unter dem Tisch und kratzt die eingetrocknete Tomatensoße aus dem Teppichboden. Paul steht daneben und langweilt sich. Nein, Paul steht daneben und fühlt sich schuldig, wollte ich natürlich schreiben.
Zwei Stunden steht er so da, bis alles wieder sauber ist. Das wird ihm eine Lehre sein.
Nun, ein klein wenig hat es noch gedauert mit der Lehre. Nachdem Paul die Tapete mit silbernen Eddingstiften verziert hatte, musste er gleich zwei Tage neben Frau Schimmscheck hinstehen, bis sie sein Schlamassel mit irgendeinem Lösungsmittel wieder beseitigt hatte.
Als er ausprobierte, ob Edding auf Teppichboden länger hält, fragten wir uns sogar, ob wir das Frau Schimmscheck überhaupt zumuten konnten. Fast eine Woche zupfte sie an den Härchen herum und putzte sie einzeln mit Benzin, immer darauf achtend, dass sich die Farbe des Teppichs nicht mit ablöst.
Mit der Zeit wurde es zur Routine, dass Frau Schimmscheck unseren Paul selbstständig von der Kita abholte und auch wieder zurückbrachte, wenn sie die von seinen Hinterlassenschaften heimgesuchte Wohnung wieder sauber gemacht hatte.
Triumphierend sagte ich zu meiner Frau: Siehst Du, Frau Schimmscheck hat einen äußerst guten erzieherischen Einfluss auf unseren Sohn. Schließlich hat er jeweils nur ein einziges Mal die Tapete angemalt, den Boden angemalt, die Treppe angemalt, den Schrank angemalt, den Kronleuchter angemalt, die matschigen Schuhe zu spät ausgezogen, die matschigen Schuhe zu früh wieder angezogen und auch nur ein einziges Mal dem durchfallkranken Meerschweinchen die Wohnung gezeigt.
Ja, Du hast recht, sagte sie müde, wahrscheinlich hätte ich es selber auch nicht besser hingekriegt. Eigentlich ist es tatsächlich egal, wer seinen Dreck wegputzt, so lange er es selber noch nicht kann. Dass er es selber machen würde, sobald er in der Lage dazu ist, daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Bis gestern. Da hat Paul – eigentlich ein äußerst erfreulicher Anlass! – seine ersten Worte gesagt. Aber es war nicht Papa, nicht Mama, und auch nicht Auto. Ich weiß nicht, ob ich ihn so ganz richtig verstanden hatte. Aber für mich klang es ein wenig so wie: Schneller du dreckige Schlampe!