www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Raus aus dem Pott

Studieren ist ja schön und gut, aber das eine oder andere Mal möchte man dann doch auch mal wieder seine lieben Verwandten und Bekannten und Freundinnen (stilistische Mehrzahl) sehen. Da es aber schlicht nicht kostenlos ist, Entfernungen zu überbrücken, hat man verschiedene Möglichkeiten:
1.) Man trampt und wird ausgeraubt und landet wegen mangelnder Ortskenntnis in Thailand oder Südaustralien.
2.) Man fliegt. 25,- DM von Dortmund nach Stuttgart. Billig und schnell. Aber nichts für einen Fundi.
3.) Man kauft eine reguläre Bahnfahrkarte, nachdem man entweder eine Bank ausgeraubt oder das Eigenheim der Eltern der Studienkollegin verkauft hat.
4.) Man erkundigt sich bei der Bahn nach Sonderangeboten.
Letzteres läuft dann wiefolgt ab.
„Ich würde gerne billig nach Blaubeuren kommen.“
„Wunderbar! Wir haben eine Menge Sonderangebote! Da ist bestimmt was für Sie dabei! Wie wär’s etwas mit einem Guten-Abend-Ticket?“
„Na prima.“
„Kostet nur 59,- DM. Sollten sie freitags fahren, allerdings 74,- DM und im ICE 84,- DM.“
„Gut. Ich nehm trotzdem eines.“
„Das geht leider nicht. Sie müssen am Tag der Abfahrt ab 19 Uhr das Ticket lösen, und zwar an dem Ort der Abfahrt. Nein, im Zug lösen geht natürlich nicht.“
Freitag, 19 Uhr, Essen Hauptbahnhof.
„Bitte ein Guten-Abend-Ticket. Aber schnell. Mein Zug geht in einer Minute.“
„Hier, bitte, mein Herr. Macht 84,- DM. Nur leider können Sie damit nicht fahren. Sehen Sie her. Dieser Passus besagt, daß das Ticket automatisch ungültig wird, sobald es an einem Tag von einem oder mehreren Fahrgästen gelöst wird. Das ist, damit die Züge nicht zu voll werden.“
„Ah, das sehe ich natürlich ein. Und der Zug ist eh weg. Haben Sie denn sonst noch Sonderangebote?“
„Aber natürlich! Nehmen Sie doch den Supersparpreis! Speziell bei Fahrten übers Wochenende! Hin und zurück für 79,- DM und zu zweit für nur 115,- DM! Wenn das nichts ist! Einzige Bedingung. Sie müssen am Zielort einfach in den Comfort-Hotels der Deutschen Bahn übernachten. Da liegen die Preise so etwa bei 500 Mark die Nacht im Achterzimmer. Aber nageln Sie mich nicht fest.“
„Hm. Vielleicht paßt ja was anderes besser auf meine Bedürfnisse...“
„Sie können natürlich auch den Supersparpreis Schweiz nehmen.“
„Schweiz?“
„Ja, Sie fahren einfach für 79,- Mark nach – sagen wir mal – Basel. Von dort aus mit dem Schönes-Wochenend-Ticket nach Blaubeuren und das ganze zurück. Wären zusammen supergünstige 114,- DM für sage und schreibe 26 Stunden Zugfahrt. Ein nicht zu überbietender Preis!“
„Aber eine zu unterbietende Zeit...“
„Dann kann ich Ihnen nur den Studenten-Sprinter-Paß empfehlen.“
„Hört sich gut an.“
„Ist auch gut. Gegen Vorlage des Internationalen Studentenausweises, ihrem Abiturszeugnis, ihrer Geburtsurkunde, der letzten Hausarbeit, einem Ärztlichen Attest und einer Beurteilung durch den Dekan können Sie ins Bewerbungsverfahren aufgenommen werden und mit etwas Glück in zwei Jahren eine Netzkarte für 200,- DM im Monat erhalten.“
„Wahnsinn!“
„Sie verpflichten sich allerdings, zweimal die Woche nach Hause zu fahren und während der Fahrt Broschüren der Deutschen Bahn zu verteilen und für Sauberkeit im Zug zu sorgen.“
„Gibt’s auch was machbares?“
„Machbar, machbar... Alles kein Problem für flexible junge Leute. Zum Beispiel der Mosambik-Sparpreis! Für 15,- DM über Mosambik nach Blaubeuren. Zwischendrin kurz drei Monate Entwicklungshelfer...“
„Bitte...“
„Oder der Mitfahrer-Preis. Für 55,- DM und Koffertragen. Mit etwas Glück finden Sie nach drei, vier Versuchen jemanden, der nach Ulm fährt!“
Räuspern.
„Dann das Interrail-Zusatzticket. Preiswertes Reisen in leeren Zügen. Sie fahren, und wir sagen, wohin. Nein? Dann das Schlecht-Wetter-Ticket? Den Sibirien-Supersparpreis? Das Hunde- und Katzen-Mitnehm-Ticket? Den Fernfahrer- und Kfz-Mechaniker-Tarif mit kleineren Reparaturen während der Fahrt? Oder...“
„Danke. Danke. Ich habe mich bereits entschieden. Ich lache mir jetzt eine Studentin an und verkaufe das Eigenheim ihrer Eltern.“