www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

   zurück   

Semesterbericht

Also, irgendwas muß ich wohl falsch machen! dachte ich immer, wenn ich die anderen Studenten klagen hörte, die ein ganzes Wochenende an der Uni verbrachten, in Schlafsäcken übernachteten, Tag und Nacht arbeiteten, wenn sie nicht gerade zusammenbrachen, nur um irgendeinen Bericht fertigzukriegen.
Ich hingegen suchte mir meinen Stundenplan so zusammen, daß er mich nicht überforderte. Immerhin ist man im zweiten Semester noch nicht soweit, daß man sich schon in vollem Umfang in die Veranstaltungen werfen könnte. Andererseits ist man im zweiten Semester schon so clever, daß man weiß, welche Veranstaltungen man sich schenken kann.
Ich schenkte mir den Montag morgen. Denn – das ist ja klar. Dienstag mittag blieb frei wegen Fußball. Mittwochs ist sowieso nie Bedeutendes. Donnertstags Feiertag. Und Freitag lohnt sich dann auch nicht mehr. Für die eine Veranstaltung dienstag morgens kaufte ich mir ein Skript und blieb im folgenden fern.
Doch da gab es noch diese blöde Pflichtveranstaltung, dieses Studienprojekt, das sich Montag und – falls möglich – Donnerstag je vier Stunden lang traf. Dieses Projekt sollte eine Umweltverträglichkeitsstudie für eine Umgehungsstraße erstellen. Und einen Bericht darüber anfertigen.
Die erste Woche ging ich nicht hin. Da mußte ich mich erst wieder in Dortmund einleben. Das versteht ja jeder. Die zweite Woche fiel eh aus, da einige Klausur schrieben. Die dritte Woche saßen wir da, tranken Kaffee, schrotteten die Kaffeemaschine und beschlossen, daß noch genug Zeit sei bis zu dem Bericht.
Daher ging ich die vierte Woche gleich gar nicht mehr hin. Sondern flog nach Mallorca. Denn in der Nebensaison ist es billiger. Alle Studenten reisen Nebensaison. In den Semesterferien muß man Geld verdienen.
Dann war Pfingsten. Die Pfingstwoche war frei.
Nach Pfingsten machte uns unser Projektbetreuer darauf aufmerksam, daß nur noch wenig Zeit verbliebe, wir deutlich hintendran seien und er ein Desaster kommen sehe. So ungefähr zumindest mußte er das gesagt haben. Ich persönlich erfuhr es ja nur aus zweiter Hand, wo ich doch noch eine Woche bei meiner Freundin anhängte.
Dann mußte ich mich natürlich erst wieder in Dortmund einleben. Das ist ja auch etwas anderes im Vergleich zu einem handwerklichen Beruf. Studenten arbeiten mit dem Geist. Und der Geist ist sensibel. Und etwas Sensibles muß geschont werden, sonst funktioniert es nicht mehr oder nur noch falsch.
Nachdem ich drei Anrufe bekommen hatte, ob ich noch lebte (es sind schon Studenten gestorben, und man hat es erst im 23. Semester bemerkt), ging ich mal wieder zur Uni. Mensen.
Und nach dem Essen zum Projekt. Wir saßen da und tranken kaltes Wasser mit Kaffeesatz, da niemand es vermocht hatte, die Kaffeemaschine unseres Professors zu reparieren oder zu ersetzen. Die Runde wurde durch Ratlosigkeit geprägt ob der fortschreitenden Zeit und des hinterherhinkenden Standes des Projektes. Noch zwei Wochen, hämmerte uns der Vorturner, sicher ein verkappter BWL-Student, der den Numerus Clausus nicht gepackt hatte, ein.
Nichts für ein so sensibles Gehirn wie meines. Das bringt nur bei positiver Grundeinstellung, Abwesenheit von Streßfaktoren und optimaler psychischer Pflege Höchstleistungen. Und Schuld sind immer die Mitspieler und der Schiri – ach nee, das war was anderes.
Zumindest konnte ich diese Panikmache meinem Nobelhirn (langes o) nicht antun und verbrachte die nächste Woche hinter dem Haus mit Hasen, Bier, Grillen und Sonnenschein (letzteres ist der größte Witz im ganzen Text).
Dann, es war Freitag und etwa acht Uhr, wurde ich von zwei Mitstudenten aus dem Bett gerissen, kalt geduscht, in alte Kleider gesteckt und gewaltsam zur Uni gebracht. Es war wohl langsam Zeit, mit dem Endbericht anzufangen.
Wir verbrachten das ganze Wochenende an der Uni, übernachteten in Schlafsäcken, arbeiteten Tag und Nacht, wenn wir nicht gerade zusammenbrachen, nur um diesen doofen Bericht fertigzukriegen. Nebenher lernte ich das eine Skript auswendig und schrieb Montag Klausur. Projekt und Klausur wurden knapp bestanden.
Aber das Wichtigste ist: Jetzt kann ich endlich, endlich allen anderen Studenten vorjammern, wie hart das Studieren ist, wie viele Wochenenden man durcharbeitet, und wie viele Nächte man an der Uni im Schlafsack verbringt. Zumindest, wenn man alles richtig macht.