www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Sprachcomputer

Zu den Errungenschaften unserer technisierten Welt gehört, dass die Gerätschaften einem immer mehr Arbeiten abnehmen. Zu den Leiden unserer Welt gehört, dass die Gerätschaften einen nicht verstehen.
Andererseits ist es heutzutage ja schon so, dass unsere Computer geradezu dazu dressiert werden, uns zu verstehen. Alles, was uns dann noch abverlangt wird, ist, die Computer zu verstehen, oder vielmehr: zu verstehen, wie sie uns verstehen. Oder noch genauer: zu verstehen, wie sie es versuchen, uns zu verstehen.
Aber das ist alles ganz einfach, sagte mir ein guter Freund und lud mich flugs ein, sein neues Wunderding mit Namen „Sprachgesteuerter Computer“ einmal selbst zu erleben. Ich betrat sein Arbeitszimmer, er fuhr die Maschine hoch und begann zu erzählen.
„Ich weiß nicht, wie das blöde Ding funktioniert. Kann mir mal jemand sagen, auf welchen Knopf ich nun drücken muss? Irgendwie muss es möglich sein, einen Aufnahmeknopf zu drücken. Was macht er denn nun schon wieder?“
Während mein Freund all das erzählte, starteten sich auf dem Bildschirm die Programme, und das Gerät fing an zu arbeiten und wie wild Berechnungen durchzuführen. Doch mein Freund dozierte weiter.
„So ein Mist! Schau Dir das an! Er nimmt das alles auf. Halt! Lass das! Ich will das nicht aufnehmen. Löschen! Sofort wieder löschen! Wie geht das denn nur? Drecksteil!“
Ich wunderte mich, warum mein Freund seinen Computer beschimpfte, obgleich dieser wundervoll und wie von Zauberhand geleitet arbeitete, und – soweit ich dies erkennen konnte – durchaus Vernünftiges zustande brachte.
„Warum nennst Du Deinen Computer ein Drecksteil?“, fragte ich.
„Pssst!“, unterbrach dieser mich sogleich und flüsterte leise: „Du darfst nicht Drecksteil sagen!“
„Aber Du hast es doch auch gesagt.“
„Ja, bei mir ist das etwas anderes. Auf den Moment kommt es an!“
„Auf den Moment?“
„Ja.“
„Aber hast Du nicht zwei Sekunden vorher selbst...?“
„Ja, aber man darf es nicht zweimal hintereinander sagen,“ flüsterte er geheimnisvoll.
„Wieso denn das nun wieder?“
Er winkte mich aus dem Raum, verschloss leise die Tür und sagte: „Drecksteil bedeutet Drucken. Und ich will schließlich nicht, dass er das Dokument gleich zweimal druckt. Alles klar?“
Alles war nicht klar, aber langsam begriff ich.
„Und warum sagst Du zu ihm Drecksteil, wenn Du drucken möchtest?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
Er grübelte, ob er sie mir wirklich anvertrauen wollte, doch dann sagte er: „Zunächst habe ich nicht verstanden, wie das alles funktioniert. Deshalb habe ich begonnen, den Rechner zu beschimpfen. Um dann festzustellen, dass er das alles aufgezeichnet hatte. Und ich weiß bis heute nicht, wie man das wieder ändert.“
„Das bedeutet, Du hast die ganze Zeit mit Deinem Computer gesprochen statt mit mir?“
Er schaute verlegen auf den Boden und nickte stumm.
Doch mir war ganz und gar nicht verlegen zumute, sondern ich fragte sofort mit funkelnden Augen, ob ich dann auch mal probieren dürfe, und so gingen wir in sein Zimmer zurück und ich nahm die Kommunikation mit dem Computer auf.
„Drecksteil!“, sagte ich.
Und tatsächlich: Er begann zu drucken.
„Schau Dir das an!“, schob ich nach, und er öffnete ein neues Dokument.
„Er nimmt das,“ sagte ich nun, und auf wundersame Weise füllten sich die Zeilen und Spalten mit unseren aktuellen Geschäftsdaten.
„Alles auf!“
Der Cursor schob sich an das Ende der Spalten.
„Halt!“ rief ich und meinte doch das Gegenteil. Und der Computer verstand. Er bildete artig alle Summen und schrieb sie unten hin.
Ich war völlig fasziniert und probierte noch allerlei Flüche und Beschimpfungen aus, ebenso flehende Hilferufe und als besondere Schmankerl spezielle Geräusche wie Zähneknirschen und Brummen. Und mit alledem fing der Rechner irgendetwas an.
„Jetzt reicht es dann langsam,“ sagte mein Freund (wobei der Rechner eine E-Mail löschte), dem die Geschichte zusehends peinlicher wurde.
„Gut,“ sagte ich, „dann fahr ich ihn nur noch kurz runter. Was muss ich dazu sagen?“
„Ich geb’s auf,“ sagte er, womit der Rechner alle Programme beendete und sich selbst abschaltete.
„Ich geb’s auf“, wiederholte ich bestätigend und sinnloserweise, und ging dann völlig fasziniert nach Hause. So ein Gerät will ich auch!