www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Stau am Stadtjugendring

Eigentlich sollten die Menschen in verstärkter Form auf die öffentlichen Verkehrsmittel setzen. Nur denken immernoch die meisten, mit dem PKW seien sie schneller. Dabei ist der Autoverkehr sehr leicht zum Erliegen zu bringen. Zum Beispiel durch mich.
Es war einfach eine unglückliche Verkettung von Zufällen, die an diesem Freitag Stuttgart erschüttern ließ. Daß vor dem Gebäude des Stadtjugendrings, bei dem ich einen schweren Video-Beamer zurückgeben wollte, kein Parkplatz für meinen Mercedes-Bus war, war allerdings kein Zufall, sondern eine unumstößliche Konstante, da in der Blumenstraße zu keiner Zeit irgendein Parkplatz frei ist.
Zufall war hingegen, daß mein Bus genau in die Lücke zwischen zwei Baugruben paßte, ohne den Verkehr zu beeinträchtigen. Ein dummer Zufall war, daß dieser Ort zugleich die Einfahrt zum Privatparkplatz des Stadtjugendrings war.
Alles wäre nicht so schlimm gewesen, wenn der Verleih-Zivi nicht ausgerechnet an diesem Vormittag einen Auftritt im Radio gehabt hätte. Dann hätte ich den schweren Beamer reingestellt, meine 50,- DM Kaution empfangen und wäre verschwunden.
So aber wollte mir niemand meine 50,- DM Kaution geben, ich konnte nicht nach zwei Minuten wieder verschwinden, und das Drama nahm seinen Lauf.
Während ich mich von Büro zu Büro bis zum Geschäftsführer kämpfte, kam unten auf der Straße ein blauer Opel Corsa auf die Idee, den Privatparkplatz des Stadtjugendrings benutzen zu wollen. Er war sogar der Meinung, ein Recht darauf zu haben, und verlieh dieser Meinung durch heftiges Blinken und Hupen Ausdruck.
Ein weiterer Zufall brachte es mit sich, daß der Geschäftsführer des Stadtjugendrings, der sich meiner annahm, die nötigen Unterlagen zur Rückgabe eines Video-Beamers nicht finden konnte. Während er alle verfügbaren Ordner durchstöberte, konnte ich durchs Fenster beobachten, wie einige Männer aus ihren Autos stiegen und wild herumgestikulierten, und wie sich der Verkehr nun die gesamte Blumenstraße hinauf staute.
Sicherlich hätte der Fahrer des blauen Opel Corsa einfach weiterfahren und woanders nach einem Parkplatz schauen können. Allein: Er war Schwabe. Daher kann man hier wiederum nicht von einer Zufälligkeit des Verhaltens sprechen.
Sicherlich hätte auch ich hinunter gehen und den Bus beiseite fahren können, aber bevor das geschehen wäre, hätten mich die beteiligten Autofahrer ja alles mögliche geheißen. Darauf wollte ich es nicht anlegen.
Der Geschäftsführer des Stadtjugendrings überlegte, wie er mir die 50,- DM Kaution verschaffen konnte, und der Stau dehnte sich genüßlich den Gablenberg hinauf aus.
Mit halbem Ohr und Auge bekam ich mit, wie Menschen durchs Haus rasten und den Fahrer eines roten Mercedes-Busses suchten. Leider war ich zu tief in die Diskussion mit dem Geschäftsführer vertieft, um zu erkennen, daß die Menschen ausgerechnet mich suchten.
Schließlich verschwand der Geschäftsführer des Stadtjugendrings in seinem Büro, um eine Ersatzquittung oder dergleichen zu holen. Auf der mittleren Filderstraße kam derweil der Verkehr zum Erliegen.
Leider hatten die dummen Zufälle mit der Zeit ein Ende, ich bekam meine Kaution und mußte mich langsam mit dem Gedanken anfreunden, wieder zu meinem Fahrzeug nach unten gehen zu müssen.
Nach einer längeren Phase des inneren Ringens traute ich mich nach unten und wurde prompt in ausufernde Diskussionen verwickelt, in denen es zunächst um meine mutmaßlichen krankhaften Anwandlungen und meine Unfähigkeit in sämtlichen Belangen ging und dann in einem zweiten und noch längeren Teil um die Tatsache, daß ich mit meinem Bus nicht zurücksetzen konnte, wenn nicht der blaue Opel Corsa zunächst verschwand, der blaue Opel Corsa diese Tatsache aber nicht hinnehmen wollte.
Irgendwann gegen Mittag hatten wir dann irgendeine Lösung gefunden, mit der beide Parteien gerade so leben konnten (Ich glaube, der Corsa hat einen halben Meter zurückgesetzt, dann habe ich den Bus etwas zur Seite rangiert, dann ist der Corsa neben mich gefahren, dann bin ich vollends rückwärts aus der Lücke raus, und dann konnte der Corsa auf den Parkplatz). Ich stieg in meinen Bus und fuhr zum Jugendwerk nach Degerloch zurück. Die Straßen in Stuttgarts Innenstadt waren feierlich leer, als ich im Radio die Verkehrsmeldung hörte: „Auf der A8 München - Stuttgart im Bereich der Anschlußstelle Stuttgart-Möhringen sieben Kilometer Stau in beiden Richtungen, vermutlich  wegen eines defekten Fahrzeugs in der Stuttgarter Innenstadt. Ortskundige Fahrer werden gebeten, das Gebiet weiträumig zu umfahren.“