www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Von Handys will ich hier gar nicht reden, aber was wäre
unsere Welt ohne das Telefon? Das Telefonieren bringt doch so viel Herz
und Abwechslung in unser Leben! Meistens.
War ich also bei Lisa und ihrem aktuellen Freund Rolf
zum Tee trinken. So weit nicht ungewöhnlich, eher im Gegenteil, Alltag
sozusagen, denn noch immer führt mich meine Zivi-Nase überall
dort hin, wo es was zu essen gibt, denn Zivi bleibt man ein Leben lang,
zumindest in dieser Hinsicht.
Wie gesagt, nicht ungewöhnlich, doch da klingelte
auch schon das Telefon.
„Lisa Schaaf,“ sagte Lisa und hatte damit ihren längsten
Satz für diesen Tag hinter sich. Einige Minuten später sagte
sie: „Ja.“
Rolf und ich blickten uns verständnisvoll missmutig
an, schließlich hatte das unerwartete Telefonat eine stark einschneidende
Wirkung, was unser munteres Gespräch anging. Wir sagten also nichts
mehr, und Lisa sagte im Minutentakt abwechselnd „Ja“ und „Ja“.
Sie wirkte dabei sehr konzentriert.
„Ja.“
Da war dieses Wort schon wieder gefallen. Rolf und ich
witterten dies als Chance, uns die unselige Warterei durch eine Alberei
etwas kurzweiliger zu gestalten, einigten uns durch das lautlose Formen
des Wortes „Ja“ mit unseren Lippen auf ein Ereignis, das wir in naher Zukunft
zu erwartet. Und wahrhaft: Hellsehen ist manchmal gar nicht so schwer.
„Ja.“
Da war es wieder.
„Ja.“
Schien noch immer zu gelten. Das Vorhersehen von Vorhersehbarem
aber stellte Rolf und mich nicht mehr zufrieden. Wir begannen nun zu wetten.
Ich setzte auf „Ja“, er setzte auf „Ja“, knisternde Spannung im Raum, keiner
sagt ein Wort, nur Lisa – nach längerer Pause – das eine.
„Ja.“
Gewonnen! Nur ist Wetten nicht sehr spannend, wenn man
sicher gewinnt, und wenn, was schlimmer ist, keiner verliert. Dreimal noch
hielten wir durch.
„Ja.“
„Ja.“
„Ja.“
Dann hatten wir eine Idee. Wir führten Quoten ein.
Dadurch wurde es urplötzlich attraktiv, auf „Nein“ zu setzen, da die
Quote dafür um etwa das fünfhundertfache höher war als für
„Ja.“
Obwohl ich aus eigener Erfahrung als Prototyp des Ja-Sagers
weiß, dass dieses Wort wirklich um sehr viel wahrscheinlicher ist
als ein „Nein“, siegte meine Risikoliebe, und ich setzte auf „Nein“.
„Ja.“
Verloren.
„Ja.“
Nochmals. Wir registrierten, dass Quoten ohne Wett-einsätze
belanglos sind und begannen, sinnlose Dinge zu setzen wie Teetassen oder
Kekse. Im Wahne der Vorstellung, in Kürze rund 900 Teetassen zu gewinnen,
denn so hoch war mittlerweile die Quote, tippte ich trotz geringster Wahrscheinlich
erneut ein „Nein“.
„Ja.“
Und verlor wieder. Die Quote steigerte sich, ebenso mein
Wahn, doch die Dinge im Raum, die ich verwetten konnte, wurden weniger
und weniger, doch ich war gewissermaßen gezwungen, ein ums andere
Mal auf „Nein“ zu setzen, denn ich brauchte nun die Quote, um meine Schulden
abzubauen. Mit einer Quote von 1,002 ließe es sich nur mit großer
Geduld erreichen, alle Tassen, Kekse, Gummibaumblätter und inzwischen
auch Uhren, Münzen und Haarbüschel zurückzugewinnen.
Ich hielt also eisern am „Nein“ fest, eine ganz neue
Erfahrung, fürs Leben profitiere ich womöglich noch von dieser
unbekannten Hartnäckigkeit, hier jedoch trieb sie mich ins Fiasko.
„Ja.“
„Ja.“
Eine Quote von 5 000 zu eins. Doch kein Gewinn.
Dann hatte ich eine dieser famosen Eingebungen, die meist
den Wendepunkt der Geschichten darstellen und mir in meinem Leben zu Ruhm
und Ehre, sprich Geld verhelfen. Ich fragte Lisa: „Dauert es noch lange?“
Sie sagte postwendend und genervt: „Nein!“
Ich riss alle umherliegendenden Preise an mich, geriet
in eine ausufernde Diskussion mit Rolf, die derart ausufernd war, dass
sie auch ein Handgemenge, Bisse und Knuffer mit einschloss.
Schließlich einigten wir uns darauf, dass das „Nein“
galt, da ich schärfer biss, doch das brachte mir aufs Gesamte wenig,
da nun wiederum an die 100 000 „Jas“ folgten. Ich wollte erneut fragend
intervenieren, doch ich fand keine Lücken mehr zwischen den Wörtern,
in die ich hätte hineinstoßen können, sie wurden dichter
und dichter, schneller und schneller, steigerten sich zu einem Vulkan dicht
vor der Explosion, die darin endete, dass Lisa mit einem letzten, abgehakten
„Ja“ den Hörer auf die Gabel knallte, meinen Ruin besiegelte und ihrem
Rolf den zweitlängsten Satz des Abends zublökte, das in diesen
Situationen übliche „Dein Vater war dran.“