www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum
Es ist ja nicht so, daß die Deutsche Bahn AG sich
keine Mühe geben würde, durch – wie das so schön heißt
– innovative Maßnahmen Kundenwünschen gerecht zu werden. Und
ich bin sicher: Irgendwann klappt das auch mal!
Seit dem letzten Fahrplanwechsel nun versucht die Bahn,
mit dem sogenannten bedarfsorientierten Fahrplan neuen Wind ins Geschäft
zu bringen. Der bedarfsorientierte Fahrplan funktioniert so, daß
man in jeden beliebigen Zug einsteigen kann, und dann stimmen die Reisenden
ab, wohin der Zug fahren soll.
Ich war natürlich wieder der letzte, der das mitgekriegt
hatte, und so wunderte ich mich auf der letzten Fahrt nach Hause so manches
mal. Und wenn ich mich bei einer Fahrt mit der Deutschen Bahn AG überhaupt
wundere, dann muß schon einiges passieren!
Der Zug ab Dortmund hatte einmal mehr, sagen wir, einige
Zeit Verspätung, und war – das ist keine übertriebene Dramatik,
sondern Routine – Teil der letzten möglichen Verbindung dieses Tages.
Doch für alle Reisenden in Richtung Nürnberg – dazu gehörte
ich nicht – hatte der Zugchef tröstende Worte parat. Sie sollten einfach
bis Frankfurt-Flughafen-Fernbahnhof (um Irritationen vorzubeugen: der Fernbahnhof
ist der wesentliche Bestandteil dieses Wortes, Frankfurt gibt nur die ungefähre
und Flughafen die genaue Lage dieses neuen Bahnhofs an) sitzenbleiben,
der Anschluß nach Nürnberg würde dort warten. Um das zu
bekräftigen, wiederholte der Zugchef den Satz nach jeder siebten Schwelle.
Kurz hinter Koblenz schaffte er ihn fehlerfrei. In Mainz hatte er es sich
dann anders überlegt: „Unser Zug fährt nun doch über Worms
nach Mannheim. Reisende in Richtung Frankfurt-Flughafen-Fernbahnhof und
Nürnberg sollen sich bitte mit der S-Bahn durchschlagen.“
Das war der Augenblick, an dem ich mich wunderte. Denn
zu diesem Zeitpunkt durchschaute ich die Hintergründe noch nicht.
Auf der Rückfahrt nach Dortmund dämmerte es
schon, als in Ulm die Zuganzeigen minütlich wechselten. Mal sollte
der IC nach Köln, dann nach Frankfurt, schließlich nach Paris
und dann wieder nach Münster fahren. Als er einfuhr, stand gerade
„Bottrop“ auf der Anzeige, warum auch immer.
Ich stieg unverdrossen ein.
Als der Schaffner meine Fahrkarte kontrollierte, fragte
er freundlich nach: „Nach Dortmund?“. Ich bejahte, denn ich gehöre
nicht zu den Leuten, die sich eine Karte nach Berlin kaufen, um dann zu
versuchen, damit nach Rom zu kommen. Daraufhin notierte der Schaffner in
seinem Büchlein „Dortmund“ und murmelte „fünfundzwanzig“.
Einige Zeit später meldete sich der Zugchef zu Wort:
„Meine Damen und Herren, wir fahren heute über Köln und halten
auch in Neulich-Steinschlag-Strandpromenade.“
Ungläubiges Staunen.
Auf dem langwierigen Kampf über diverse Nebenstrecken
nach Neulich-Steinschlag-Strandpromenade hatte der Schaffner genügend
Zeit, mir einige brennende Fragen zu beantworten, und so erfuhr ich, daß
er beim Durchzählen eine knappe Mehrheit für das Fahrtziel Köln
gezählt hatte und gleich dahinter auf Platz zwei Neulich-Steinschlag-Strandpromenade.
Der Grund: Zahllose kichernde Teens aus La-La-Strandlala aufgrund
einer zu Ende gehenden Klassenfahrt.
Ich sah mich schon in Köln auf dem Bahnsteig enden,
unterlag dabei aber einem statistischen Trugschluß. Denn nachdem
alle Steinschläger Teens und alle ollen Kölner den Zug verlassen
hatte, gab es plötzlich eine deutliche Mehrheit für Dortmund.
Ich war selten so reibungslos dort angekommen.
Doch während eine Fahrt in die Weltstadt (Zitat)
Dortmund bei diesem System recht einfach weil üblich ist, gestaltet
sich eine Fahrt ins nicht ganz so bedeutende Blaubeuren schon schwieriger.
Bis Duisburg waren die Mehrheitsverhältnisse sehr
wechselnd, doch dann geschah die Katastrophe in Form einer desorientierten
Rentnergruppe, die ausgerechnet in diesem Zug nach Amsterdam wollte. Ich
versuchte noch, die anderen Reisenden auf ein einheitliches Reiseziel einzuschwören,
doch da diese sich nicht einigen konnten, gewann Amsterdam mit schwachen
5,8 Prozent, und der Zug machte in aufwendigem Manöver Kehrt.
Ich stieg fatalerweise in einem Anfall von Panikreaktion
in Utrecht aus. Dort gab es wochenlang nur Mehrheiten für irgendwelche
Fahrten nach Paris oder in die Holländische Provinz. Erst als die
Rentnergruppe in Amsterdam jedes Café geleert hatte und nach Duisburg
zurück wollte, konnte ich wieder nach Deutschland gelangen, und dann
auch über Hamburg, Berlin, Spandau, Friedrichstraße, Potsdam,
Spandau, Potsdam, Spandau, Potsdam, Spandau, Potsdam, Dresden und Nürnberg
(über Kassel) nach Ulm. Dort hatte ich die große Aufgabe, eine
Mehrheit für die Fahrt nach Blaubeuren zusammenzubekommen. Tagelang
lief ich werbend durch den Bahnhof, aber nie schien es zu reichen. Doch
dann ergriff ich eine günstige Gelegenheit: Ich kaperte einen IC,
der gerade abgestellt werden sollte, sagte als einziger vorhandener Fahrgast
trocken „Blaubeuren“ und fuhr hocherhobenen Hauptes, mir einen Kindheitstraum
erfüllend, im Intercity in Blaubeuren ein.