www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Völkerverständigung

Saufen ist international. Saufen versteht jeder. Beim Saufen muss man nicht viel reden. Naheliegend also, dass wir übers Saufen die deutsch-polnischen Beziehungen gerettet haben. Davor hätten wir sie übers Saufen beinahe zerstört.
Es war Exkursionszeit, und eine wackere Gruppe Raumplaner wagte sich ins unbekannte Nachbarland Polen. Nicht, dass wir deswegen Polnisch gelernt hätten. Das würde sich schon ergeben. Ich beispielsweise legte mir ein Wort zurecht, „Dapruschne“ hieß es, klang gut, kam leider im polnischen Wortschatz nicht vor, aber taugte bei vielen Gelegenheiten: als „Bitte“ und „Danke“ und „Entschuldigung“ und „Aufwiedersehen“ zugleich, und wenn es sein musste auch als „Wann bitte geht die nächste Straßenbahn nach Strogi?“. In der Regel erntete ich ein gutmütiges Lächeln.
Wir wussten ja, dass die Sprache nur ein Weg der Kommunikation ist. Ein unwichtiger im Übrigen, gefahrvoll wegen der möglichen Missverständnisse, mühsam im Erlernen, außerdem ungerecht, weil immer nur einer gleichzeitig reden kann, außer man ist in Italien.
Daher setzten wir von Anfang an unsere Prioritäten auf einen anderen Kommunikationsstrang: Saufen. Statt Sprachführer zu wälzen, trainierten wir unsere Lebern – auf Höhe des Dortmunder Ortsschild wurde erstmal das Fünf-Liter-Fass unterm Bussitz hervorgekramt.
Denkbar gut vorbereitet kamen wir also in Polen an, fielen uns sogleich in die Arme (eigentlich fielen wir einfach um, aber polnische Studenten standen im Weg), verstanden uns prima und soffen und feierten uns durch die polnische Landschaft. Wie gesagt: Saufen ist international. Sollte es einmal komplizierter werden, reichte ein einfaches „Dapruschne“, und die Gläser wurden auf ein Neues gefüllt. Vielleicht dachten die Polen, „Dapruschne“ sei deutsch und heiße „Prost“ oder „Der Wodka schmeckt lecker“, so oder so waren sie glücklich mit uns, und wir waren glücklich mit ihnen, und wir waren froh, kein Polnisch lernen zu müssen.
So flog die Zeit der Exkursion nur so an uns vorbei, und ehe wir uns versahen, fanden wir uns auf unserem Abschiedsabend wieder. Er bestand im Wesentlichen aus Saufen. Gewürzt allerdings mit etwas Romantik in Form eines Lagerfeuers und eines Sees und eines Himmels und leckerem Essen, aber das ist hier nicht das Thema. Viel entscheidender: Wir schenkten uns alle zur Feier der tollen Exkursion gegenseitig ein paar Flaschen Wodka, und wir soffen. Außerdem tranken wir Bier. Wir waren unter uns, doch unsere heitere Art der Kommunikation lockte eine Gruppe junger Polen an, die sich zu uns ans Lagerfeuer gesellten. Wir sagten „Dapruschne“, sie schenkten uns Wodka ein, und wir soffen. Die Stimmung war gut, das Blut gut verdünnt, was offenbar mutig macht, und so beschlossen wir, zum Abschied doch noch ein altmodisches Gespräch zu führen.
„Dapruschne“, sagten wir.
Es war ein kurzes Gespräch.
Die Polen zogen es vor, zu singen. Da kommt es auf die Details nicht an. Sie sangen vor, es klang wie „Schozichniedatschuskiediblubabanasuiecki“ und hieß vermutlich „Schaut euch die doofen Deutschen an, ihre Nasen sind schon blau“, und wir erwiderten in bestem polnisch „Dapruschne – Dapruschne – Dapruschne“, worauf sie wieder sangen: „Schozichniedatschuskiediblu-babanasuiecki“, und wir wurden mutiger und sangen: „Dapruschne – Danzig – Dapruschne“. Die Stimmung stieg weiter, wir sangen weiter, wir soffen weiter.
Irgendwann konnte man uns zusammenfegen.
Wir wollten gehen.
Und es gab Ärger.
Wir seien scheiß Deutsche, packten sie ein paar Fetzen Fremdsprache aus, sie hätten uns ihren Wodka gegeben, und sie hätten nichts von unserem Bier gekriegt. Wir seien scheiß Deutsche, scheiß Deutsche seien wir.
Es schien so, als mussten wir in dieser Nacht noch eben die deutsch-polnischen Beziehungen retten. Wir holten unsere letzte Flasche Wodka hervor, boten sie an und soffen weiter, sangen weiter, sanken zugleich immer tiefer in uns zusammen.
Doch immer, wenn wir aufbrechen wollten, hieß es erneut, wir seien scheiß Deutsche, das konnten wir natürlich, nicht aus persönlichem Schuldgefühl, eher aus europäischem Verantwortungsdenken heraus, so nicht gelten lassen, fuhren also mit unseren polnischen Gastgebern und zusammen etwa 20 Promille zum nächsten Supermarkt, was in Polen einiges heißt, hämmerten den Besitzer aus dem Schlaf, kauften Wodka und Bier zu einem Preis, zu dem man normalerweise drei gebrauchte Daimler bekommt, soffen weiter und sangen weiter, hofften zu vergessen, was wir eben taten, und soffen daher noch mehr.
Dann konnte man die Polen zusammenfegen.
Sie wollten gehen.
Wir fragten uns, wie wir heim kämen.
Wie fragten sie, wie wir heim kämen.
Sie sagten, ihre Mutter würde uns fahren. Für einen Preis von ungefähr drei gebrauchten Daimlern.
Diesmal waren wir es, die die deutsch-polnischen Beziehungen für beendet erklärten. Die Polen schienen darüber nicht unglücklich. Daher nahmen wir an, der Weltfrieden bliebe zunächst erhalten.
Wir machten uns zu Fuß auf den mehrstündigen Heimweg und schworen uns, bei unserem nächsten Besuch auf Nummer sicher zu gehen und aufs Reden zu verzichten. Denn: Hätten wir nie „Danzig“ gesagt, niemand wäre darauf gekommen, dass wir Deutsche waren, niemand hätte sich beklagen können, alle hätten ihren Spaß gehabt. Also gilt künftig: Nicht reden. Nur saufen.