www.albrecht-reuss.de | Stand: 12.12.2008 | Impressum

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Der Zuhörer

Falls Männer unter den Lesern sind, will ich mich bereits an dieser Stelle für die Aufmerksamkeit bedanken. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, sich für fünf Minuten mit den Gedanken eines anderen zu beschäftigen, und wahrscheinlich werdet ihr euch hinterher an keinen Satz mehr erinnern außer an diesen: Der Ball ist rund und ein Spiel dauert neunzig Minuten. Aber ihr habt es versucht, und dafür möchte ich mich bedanken.
Vielen Dank auch allen Frauen, die diese Zeilen zwischen Examensvorbereitung, Babystillen, Oma bekochen und Schuhe kaufen noch nebenher auf-schnappen. Denn sie sind insbesondere für euch bestimmt. Damit ihr vielleicht irgendwann versteht, warum die Jungens sich außer an den einen Satz an nichts erinnern können – und warum euch noch nie ein männliches Wesen zugehört hat.
Seit Büchern wie “Warum Männer sechs und Frauen nur fünf Buchstaben haben” ist eines weltbekannt: Männer können immer nur eine Sache auf einmal machen. Das klingt zunächst trivial. Doch kaum einer kann bislang die Dimension abschätzen, welche die Auswirkungen dieser Tatsachen auf den Alltag haben werden, speziell auf das Zusammenleben zwischen Männern und Frauen. In einem jahrelangen Selbstversuch habe ich untersucht, wie die Frauen unter diesen Umständen eigentlich überhaupt mit uns Mänenrn auskommen.
Nun gebe ich mein Ergebnis erstmals der Öffentlichkeit bekannt: Ich weiß es noch nicht. Ich konnte der befragten Frau bislang nicht folgen.
Seit unzähligen Jahren frage ich die liebe Frau an meiner Seite die selbe einfache Frage: “Wie haltet ihr es eigentlich aus, dass wir Männer euch nicht zuhören?”
Es ist nicht einfach, diese Frage zu stellen, denn ich kann nicht gleichzeitig denken und reden. Daher muss ich mich, bevor ich die Frage stelle, in einen Art Trance-Zustand versetzen und ohne zu denken die vorher Dutzende male wiederholten und dadurch mühsam verinnerlichten Worte gedankenlos meinem Mund entgleiten lassen.
Nicht zu denken ist sehr anstrengend, und dieser Status kann immer nur für sehr kurze Zeit aufrecht erhalten werden. Sobald die Worte gefallen sind, setzt daher das Denken wieder ein. Hat es geklappt? Waren es wohl die richtigen Worte, die gesagt wurden? Wie wird sie reagieren? Wird sie mich nach diesen Worten mehr oder weniger mögen? Wirke ich selbstkritisch und modern oder einfach ein bisschen irre? Ob sie wohl schon begonnen hat zu antworten?
In der Regel hat sie schon lange damit begonnen und schon lange wieder damit aufgehört. Doch ich habe kein Wort mitbekommen. Weil ich keine Antwort vernommen habe, beginne ich, ohne zu denken, die Frage nochmals zu stellen, dieser Vorgang ist bereits automatisiert, und einige erklärenden Erläuterungen anzufügen. Denn offensichtlich hatte sie die Frage nicht recht verstanden. Sonst hätte sie ja geantwortet.
Dass ich jedoch wieder keine Antwort wahrnehme, zermattert mein Gehirn. Ich denke fortan so viele Dinge, dass auch die einfachste Kommunikation für den Rest des Tages ohne meine Beteiligung stattfindet.
Abends im Bett, so kurz vor dem Einschlafen, wenn das Denken langsam aussetzt, bekomme ich dann die Vorwürfe um die Ohren gehauen, ich sei apathisch, würde nie zuhören und ständig reinquasseln, wenn man mir gerade etwas sagen wolle.
Es ist ein Jammer. Denn ist es nicht eigentlich der größte Segen, wenn der Mensch, den man am meisten auf der ganzen Welt schätzt, einem etwas zu sagen hat? Und wenn sie es dann tut, denke ich: Wow! Sie redet mit mir! Die Frau, ich am meisten auf der ganzen Welt schätze, hat mir etwas zu sagen! Das ist der größte Segen, der einem in einem kleinen Menschenleben widerfahren kann! Ich bin so glücklich! Äh, was hat sie wohl gesagt?
Auf diese Weise versuche ich nun schon seit Jahren, die Frage zu beantworten, was Frauen eigentlich davon halten, dass Männer nicht zuhören können. Mangels Ergebnis bin ich zunehmend verzweifelt. Seit neuestem hab ich mein Tun nun darauf verlagert, das Schreiben ohne Denken zu üben. Ich habe die Hoffnung, dass mir die ein oder andere Frau die Antwort auf meine große Frage einfach schreibt. Dann muss ich nur noch das Lesen ohne Denken üben, und danach das ungleich schwierigere Nachdenken über vorher Gelesenes. Ich weiß, dass ich mir fast unlösbare Aufgaben stelle, aber es gehört zu den großen Zielen meines Daseins, in dieser Frage weiterzukommen, und daher ist es einen Versuch allemal wert. Also, Frauen dieser Welt, schreibt mir, warum ihr uns Männer trotzdem noch nicht aufgegeben habt, und ich werde ehrlich versuchen, eure Briefe zu lesen. Einverstanden?